Schnittmuster
sie mehr als fünf Jahre von der Bildfläche verschwunden.«
»Trotzdem müsste sie doch im System auftauchen, oder?«
»Tut sie auch.« Striker trank einen Schluck Kaffee und bog nach rechts. »In dem ganzen Chaos hat niemand daran gedacht, ihren Namen einzugeben â schätze mal, wir waren voll darauf fixiert, sie zu retten. Ist ja auch egal. Wir hätten es irgendwann sowieso rausgekriegt.«
»Je eher, desto besser.« Felicia starrte aus dem Fenster in den dunklen Morgen. »Du lieber Himmel, Jacob, wo zum Teufel mag ihre Tochter sein?«
Striker wünschte sich, er wüsste die Antwort. Er fuhr auf der Commercial nach Norden, über die Venables Street, den Georgia Viaduct ins Herz der Innenstadt.
»Wohin fahren wir eigentlich?«, wollte Felicia wissen, als sie Burrard erreichten.
»Comox Street.«
»Was hältst du davon, wenn wir vorher kurz bei Ich vorbeischauen? Die Ãbersetzung müsste inzwischen fertig sein.«
»Nicht nötig, ich hab vorhin noch mit ihm telefoniert. Es handelt sich da wohl um einen sehr seltenen Dialekt, aber er bleibt weiterhin am Ball.«
»Das ist Bullshit.«
»Du sprichst mir aus der Seele, Kleines.«
Felicia betrachtete die hohen Wolkenkratzer, die an ihnen vorüberzogen. »Wieso Comox Street?«
Striker hielt für einen Bus, der aus einer Haltestelle bog. »Um Anthony Gervais zu besuchen.«
»Du meinst Chinese Tony?«
»Du hast es erfasst.«
»Was ist mit ihm?«
»In dem Van mit den drei Toten wurden Fingerabdrücke gefunden. Drei Mal darfst du raten von wem, und die ersten beiden zählen nicht.«
Felicia blieb stumm und nippte stirnrunzelnd an ihrem Latte.
»Na?«, drängte er.
Sie zuckte mit den Schultern. »Ich hab schon zig Mal mit Chinese Tony zu tun gehabt. Er ist zweifellos kein unbeschriebenes Blatt ⦠Beschaffungskriminalität, Drogendelikte, Hehlerei, Einbruch, Diebstahl â das ganze Programm, aber er ist kein Killer.«
»Ich weià zwar nicht, was er ist«, gab Striker zurück, »aber eins weià ich mit Bestimmtheit: Er hat in anderer Leute Autos nichts verloren. Demnach wird er sich eine gute Ausrede einfallen lassen müssen, wie seine Fingerabdrücke in den Van gekommen sind.«
»Du hast gesagt, es sei bloà ein Teilfingerabdruck â damit kommen wir vor Gericht niemals durch.«
Striker streifte sie mit einem mitleidsvollen Blick. »Das weià er doch nicht.«
»Das vielleicht nicht, trotzdem ist er ein gerissener kleiner ScheiÃkerl. Ich bezweifle, dass er plaudern wird.«
»Dann greifen wir zu Plan B.«
»Plan B?«
»Genau. Ich kenne ein dunkles Geheimnis von Chinese Tony.« Striker grinste hinterhältig. »Und wenn er nicht plaudert, plaudere ich.«
Die ersten Sonnenstrahlen fielen durch die Baumkronen im Stanley Park, als sie die Comox Street befuhren und vor Hedgeford Estates anhielten. Das zwölfstöckige Apartmentgebäude war ein Klotz aus grauem Sichtbeton und dunkel getöntem Glas, auf dem sich das Sonnenlicht spiegelte.
Striker hasste das Haus. Es galt bei mittelprächtigen Drogenkurieren als beliebtes Versteck; zudem ärgerte es ihn, dass ein kleiner, verwichster ScheiÃdealer wie Chinese Tony sich ein solches Apartment leistete, obwohl er dem Staat auf der Tasche lag und Sozialhilfe einstrich.
»Seine Wohnung ist da hinten«, meinte Striker mit einem Kopfnicken in die entsprechende Richtung. »Direkt an der StraÃe.«
Die Suite hatte die Nummer 112, lag also im Parterre auf der Nordostseite. Das eröffnete Chinese Tony optimale Fluchtmöglichkeiten, für den Fall, dass die Polizei oder andere Kontrahenten auftauchten.
»Er wird versuchen zu türmen«, warnte Felicia.
»Das hoff ich doch schwer.«
»Willst du das Quatschen oder den Zugriff übernehmen?«
»Was tippst du?«, flachste ihr Kollege.
»Ich hab dich zuerst gefragt.«
»Okay, wie gehabt.«
»Du willst es echt wieder mit dieser Masche probieren?«
»Logo, so lange, bis ich irgendwann in Pension gehe.«
Felicia lief zum Eingang des Apartmenthauses.
Striker wartete drauÃen vor der Terrasse von Chinese Tonys Apartment, versteckt im Gebüsch. Hinter ihm führte ein schmaler Gehweg zum Parkplatz, zu den Tennisplätzen und in den Park.
Er beobachtete, wie der böige Herbstwind das Laub über die Tennisplätze trieb. Es
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