Schnittmuster
seinem vergitterten Schauplatz aus. Unfähig, den Blick abzuwenden.
In dem vergitterten Rattenloch war es glutheià von der Sommerhitze, aber dem Kind war mit einem Mal kalt. Kalt vor Angst. Er beobachtete für eine lange Weile, wie die Wachen ihr makabres Tun fortsetzten: Sie rissen den Kopf ihres Opfers an den Haaren aus der Wanne hoch, um dem Alten Antworten abzupressen, drückten sein Gesicht wieder unter Wasser, als sie nichts aus ihm herausbekamen. Und jedes Mal platschte Wasser auf den Boden und an die Wände, mit solcher Wucht, dass die Spritzer Kind 157 trafen und langsam von seiner Haut abperlten.
Das gnadenlose Verhör setzte sich endlos fort.
Bis der Körper des Alten irgendwann kapitulierte. Vielleicht hatten sie ihn eine Sekunde zu lange unter Wasser gehalten. Was nicht wirklich eine Rolle spielte. Als sie ihn aus der Wanne zogen, fiel sein Kopf schlaff nach vorn, und sein Gesicht schlug hart auf dem Eisenrand auf.
Es war vorbei.
Onkel war tot.
Der Inquisitor notierte irgendwas in seinem Buch, bevor seine Augen abermals über die Eisenstäbe der Zellen glitten. Er entdeckte Kind 157 und fixierte es mit einem vernichtenden Starren.
»Bringt mir den Nächsten«, knurrte er.
Rotmaske schrak aus seinen albtraumhaften Erinnerungen hoch. Kaltes Wasser spritzte in sein Gesicht, und er brauchte ein paar Sekunden, um zu realisieren, dass es Regen war und nicht das Wasser in der Eisenwanne.
Einfach nur Regen.
»Onkel«, murmelte er.
Dieses Wort war ihm jahrzehntelang nicht mehr über die Lippen gegangen.
Angesichts der tragischen Erinnerung verwirrt, lief er nach Süden. Richtung Kingsway und Rupert. Um den Mann zu treffen, der sein Leben so stark bestimmte wie die Geister sein Schicksal. Der Einzige, der Mitleid für ihn empfand. Seine letzte Chance in dieser gnadenlosen Welt.
Sheung Fa.
61
Im Gefängnis von Vancouver war es ruhiger als sonst. Keine Tatverdächtigen in der Arrestsammelzelle, keine betrunkenen Randalierer, die in der Ausnüchterungszelle ihren Rausch ausschliefen. Als Striker erfuhr, dass Jail Sergeant Connors sich krankgemeldet hatte, empfand er das als eine echte Glückssträhne. Connors war einer von der neuen Generation, ein penibler Korinthenkacker, der Strikers Vorhaben rigoros ausgebremst hätte.
Es war für alle Beteiligten besser, dass Connors krankfeierte.
Striker wies den Streifenpolizisten an, Chinese Tony erst mal im Fond des Wagens schmoren zu lassen, im Dunkeln und mit voll aufgedrehter Heizung. Dann verschloss er seine Sig in einem der Waffenschränke und wartete in der Sicherheitsschleuse, bis die Wachen ihm aufdrückten. Eine kurze Weile später steuerte er den Schreibtisch des diensthabenden Gefangenenwärters an, an dem ein junger Schwarzer mit einer dickglasigen Brille saÃ, den Striker noch nie hier gesehen hatte.
»Ich hab einen Festgenommenen im Wagen sitzen«, erklärte der Detective dem Vollzugsbeamten, der ihn skeptisch fragend fixierte. »Der bleibt erst mal hier.«
»Geht klar, Detective.«
Striker entschied im Alleingang. Felicia war zum Dezernat in der 312 Main gefahren, um weitere Informationen über die Führung des Debattier-Clubs zu recherchieren. Striker war das ganz recht. Sie brauchten mehr Material, und er brauchte erheblich mehr Freiraum. Besonders jetzt und hier.
Und manche Taktiken funktionierten eben besser nach der guten alten Schule.
Er schlenderte durch die Gefängnisflure. In den dreiÃig Jahren seit seiner Fertigstellung hatte sich wenig verändert. Abgesehen von ein paar Gesetzesänderungen und neuen Regelungen, anderen Formularen und modernen Sicherheitschecks blieb grundsätzlich alles beim Alten. Es war ein schlimmer Ort. Ein abstoÃender Ort. Die Wände waren schmutzig abgegriffen, die Beleuchtung dürftig, es stank nach Pisse und SchweiÃ, ScheiÃe und Desinfektionsmitteln.
Das Parfüm der Skids.
Striker ging mental seinen Plan durch. Er entschied sich aus psychologischen Erwägungen ganz bewusst für Zellenblock 2, weil man, um dorthin zu gelangen, mordsmäÃig viele Treppen nach unten überwinden musste, tiefer und tiefer in den Schlund des Gefängnisses. Er suchte Zelle 9 aus â eine vorübergehende Ausweichzelle bei Ãberbelegung und einst ein Durchsuchungsraum für neue Häftlinge â und damit eine von wenigen ohne Ãberwachungskameras.
Die Zellentür stand offen. Striker schlüpfte
Weitere Kostenlose Bücher