Schnittmuster
Felicia. »Okay. Plan B ist angesagt.«
60
Der Tisch unter ihm war nass, als Rotmaske wach wurde, er selbst schweiÃgebadet. Im Zimmer war es kalt. Saukalt. Und da war wieder dieser Geruch.
Er hörte Wasser laufen und sah, dass der gebrechliche alte Mann über das Spülbecken gebeugt stand. Seine Schultern arthritisch gekrümmt, wusch er die Stahlinstrumente ab.
Als fühlte er sich beobachtet, schwenkte der Alte zu ihm herum. Fing Rotmaskes Blick auf. »Sie sind ohnmächtig geworden.«
Rotmaske überlegte krampfhaft. Nein, er konnte sich an nichts erinnern. »Ist Kugel entfernt?«
Der Alte schlurfte zu dem Tisch und drückte Rotmaske die deformierte Bleikugel in die Hand. »Das war der Auslöser für Ihre Schmerzen. Sie gehört Ihnen. Sie waren sehr tapfer.«
Rotmaske schüttelte leicht fassungslos den Kopf. Wie so ein kleines Ding dermaÃen höllische Schmerzen verursachen konnte, war ihm schleierhaft.
»Ich müssen weg«, sagte er.
Der Alte zog eine bedenkenvolle Miene. »In Ihrer gegenwärtigen Verfassung kommen Sie nicht weit. Sie sind geschwächt. Sehr, sehr schwach.«
»Mein Geist ist stark.«
»Der Geist wohnt dem Körper inne.«
Rotmaske setzte sich auf und stieà spontan einen lang gezogenen Schrei aus. Der Schmerz war genauso intensiv wie vorher, nur anders. Diffuser.
Er schwang die Beine von dem Tisch und stand vorsichtig auf. Seine Beine zitterten zwar, knickten aber zum Glück nicht ein.
»Ich bin Ihnen groÃen Dank schuldig.«
Der Alte drückte ihm ein Pillenröhrchen in die Hand. »Nehmen Sie die. Stündlich. Gegen die Wundinfektion.«
Rotmaske stopfte sich das Röhrchen in die Hosentasche. Der Alte fasste behutsam seinen Arm.
»Sie brauchen Ruhe.«
»Ausruhen kann ich, wenn ich tot bin.«
»Das wird nicht mehr lange dauern, wenn Sie weiterhin so unvernünftig sind.«
Rotmaske wankte zum Ausgang. Bevor er ging, tat er etwas, was er seit einer halben Ewigkeit nicht mehr gemacht hatte â er legte die Handflächen aneinander und verbeugte sich tief, eine Geste des Respekts und der Dankbarkeit gegenüber seinem Retter.
Zumindest hatte der Alte seinen Tod dieses Mal noch hinausgezögert.
Rotmaske schleppte sich die gewundene AuÃentreppe hinauf. Oben trat er unter dem Vordach in den Regen hinaus. Nur ein leichter Nieselregen, aber das genügte. Innerhalb von Sekunden war er wieder dort.
Damals.
Rotmaske war wieder klein. Schwach. Und allein.
Ein Kind.
Kind 157, um genau zu sein. Das war jetzt seine Nummer. Er stellte sich auf Zehenspitzen und blinzelte beklommen durch die Gitterstäbe in den dämmrigen D-Block.
Dorthin hatten sie den alten Mann gebracht. Dort würde der Alte sterben.
»Wer ist Ihr Auftraggeber?«, wollte der Vollstrecker mit dem blauen Kittel wissen.
Der alte Mann vor ihm zitterte. Er kniete, sein Oberkörper nackt, seine reispapierdünne Hose zerrissen. Schweià und Blut vermischten sich auf seiner sonnenverbrannten Stirn, liefen in breiten Rinnsalen über das ledrig zerfurchte Gesicht. Sein langer, ausgefranster Bart war mit grauen Fäden durchwirkt.
»Niemand, es gibt keinen«, erwiderte der Alte mit einer Mischung aus Furcht und Verzweiflung.
»Was haben Sie vorher gemacht?«, schnauzte der blaubekittelte Inquisitor ihn an.
Der Alte ruderte mit seinen spindeldürren Armen in der Luft, als flehte er um Gnade. »Ich hab Ihnen doch schon zig Mal erklärt â¦Â«
»Werft ihn in den Tank!«, schnappte der Inquisitor.
Der Alte schrie und ruderte mit den Armen, aber als die Wachen kamen â und sie kamen immer, in ihren grässlichen fahlgrauen Kitteln â, packten sie ihn mit Leichtigkeit, denn er war zu dünn und zu schwach und zu alt, um sie abzuwehren. Sie banden ihm die Arme auf den Rücken, zerrten ihn durch den Raum zu der Eisenwanne. Sie war mit Wasser gefüllt, und der Gestank drang bis zu Kind 157. In demselben Wasser waren schon hundert andere gestorben â kurz vor Mittag noch die Frau des Alten.
»Ich habe nichts getan!«, schrie der Alte. »Nichts! Ich bin unâ¦Â«
Die Wachen erstickten sein Gebrüll, indem sie brutal seinen Kopf unter Wasser drückten. Lautes Platschen erfüllte den Raum. Verzweifeltes Japsen, ähnlich einem Fisch, der um sein Leben ringt. Der Alte trat aus und bockte, das Wasser spritzte und platschte.
Kind 157 beobachtete alles von
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