Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Schnittmuster

Titel: Schnittmuster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Slater Sean
Vom Netzwerk:
später.
    Das erinnerte sie bloß wieder an ihre Mom.
    Die letzten beiden Anrufe kamen von Raine. Einer war um Viertel nach zwei in der Nacht eingegangen, der andere vor etwa einer halben Stunde.
    Courtney rief zurück und landete auf dem Anrufbeantworter: »Hinterlass eine Nachricht, aber laber Raine nicht zu.«
    Courtney grinste. »Ich bin’s, The Court«, sagte sie. »Ich bin auf. Ruf mich an, Baby.«
    Sie hängte auf in der Hoffnung, dass ihre Message cool rüberkam und dass ihr Spitzname nicht albern klang. Dann lud sie ihr Handy auf. Während sie sich einen neuen Spitznamen überlegte, irgendwas Cooleres als The Court – das hohe Gericht –, beschloss sie, das Frühstück ausfallen zu lassen. Sie hatte noch keinen Hunger.
    Sie hockte sich vor den Fernseher, zappte sich durch die Sender und hatte auf jedem Kanal das Gleiche: die Amoktat. Polizei, Sanitäter, Lehrer – alle rannten und schrien, einige weinten. Überall war Blut. Leichen. Bei dem Anblick hatte sie Herzjagen, und ihr wurde grottenübel.
    Sie sah weg, drückte auf Input 2, um sämtliche Nachrichtenkanäle auszufiltern. Besser das alles verdrängen und so tun, als wäre nichts passiert, fand sie. Sie kniete sich hin und angelte nach der Disk, die sie bis weit nach hinten unter die Anrichte geschoben hatte. Ihr Vater hatte das Video vor drei Jahren an Weihnachten aufgenommen. Das letzte Weihnachtsfest, das sie mit ihrer Mom verbracht hatte. Und obwohl es höllisch schmerzte, sich das reinzuziehen, tat Courtney es immer wieder. Sie war süchtig danach.
    Courtney legte die Disk in den DVD-Player, drückte auf Play, und über den Bildschirm flackerte der Weihnachtsbaum, festlich geschmückt mit roten und blauen Lichtern. Ihre Mom saß in dem La-Z-Boy zwischen Fenster und Kamin. Toby, ihre kleine gefleckte Katze, sprang auf den Stuhl und rollte sich auf Moms Schoß zusammen. Eine Woche nach Moms Tod war sie verschwunden, als hätte sie gespürt, dass ihr Frauchen nicht zurückkehrte. Courtney fragte sich öfters, ob sie wohl noch lebte.
    Obwohl der Gedanke sie bestürzte, klebte ihr Blick wie gebannt an dem Bildschirm. Wie jedes Mal. Es war wie ein Zwang, sie musste es tun. Als wäre es ihre Pflicht als Tochter. Den Schmerz loszulassen war, als ließe sie ihre Mutter los.
    Die Videoaufzeichnung verwackelte leicht, denn Dad ging eben durch das Zimmer, zoomte auf die Geschenke, bekam Courtney vor das Objektiv und zoomte auf sie.
    Â»Fröhliche Weihnachten, Mäuschen«, sagte er.
    Â»Fröhliche Weihnachten, Dad.«
    Â»Stell dich mal neben deine Mutter, damit ich euch zusammen draufkriege.«
    Mom winkte ab und hätte dabei fast ihr Glas Eierpunsch verschüttet. »Oh, Jacob, nimm das blöde Ding weg.«
    Es entstand eine Pause.
    Â»Komm schon, Amanda, bloß ganz kurz.«
    Auf dem Video seufzte Mom, und Dad kicherte, dann durchquerte Courtney den Raum und setzte sich neben Mom, gab ihr einen Kuss auf die Wange. Sie zeigte auf den Eierpunsch und bettelte: »Darf ich auch so ein Glas haben?«
    Ihre Mom bedachte sie mit dem Blick , und Courtney lachte. Dann blickte ihre Mutter stirnrunzelnd in die Kamera.
    Â»Da hast du deinen Schnappschuss, Jacob, und jetzt nimm bitte das Ding weg. Du gehst mir echt auf die Nerven.«
    Â»Na schön, du Spaßbremse«, versetzte Dad.
    Daraufhin hatte er die Kamera ausgeschaltet.
    Courtney schnappte sich die Fernbedienung, drückte die Stopptaste und schloss die Augen. Sie hatte das Gefühl, als wäre es erst gestern gewesen. Das wärmende Kaminfeuer auf ihrer Haut. Das würzige Aroma von dem Rum in Moms Punsch. Ihr eigener Drink. Der Tannenduft, der den Raum erfüllte.
    Es war so wunderschön gewesen, dass sie weinen musste.
    Und sie hasste Dad dafür.
    Sie drückte auf Play und sah sich abermals die kurze Sequenz an. Die Aufzeichnung war ein bisschen dunkel geraten, im Hintergrund hörte man ein leises Brummen. Das Video war alles andere als High Definition, trotzdem war es der beste Film, den sie je gesehen hatte.
    Oh Mom.
    Es war nicht fair.
    Sie vermisste sie so sehr, dass sie am liebsten nie mehr aufgehört hätte zu weinen. Und je mehr sie sie vermisste, desto mehr ärgerte es sie, dass Dad dieses Gefühl völlig abging. Klar beteuerte er, dass er Mom vermisste. Das sagte er jedes Mal, wenn sie sich die Videos reinzog, die er sich nie anschaute.
    Â»Sie liebte dich

Weitere Kostenlose Bücher