Schnittstellen
entfernt.
Ich würde mir gern den Bauch aufschlitzen, mir die Eingeweide rausreißen und sie weit fort von mir werfen. Ich kann es nicht. Ich bin nicht auf Schmerz aus, nur auf Freiheit, ich möchte ein befriedigendes, zufriedenstellendes Ende finden. Es ist nicht in Aussicht. Ich wünschte, ich wäre ein Tier, krank, gestört, in der Lage, mich selbst zu zerfleischen. Körperlich.
Ich verurteile meine Schwäche. Genauso wie all das, was auch immer es sein mag, das mich dazu gebracht hat, nicht schwach sein zu wollen.
Hättest Du mir von Anfang an erlaubt zu morden, wäre es niemals so weit gekommen.
Ich hätte meine Waffen niedergelegt, mich Dir gegenüber gesetzt und darüber nachgedacht, aus welchem Grund Du mir solch grausame Taten erlaubtest.
II. TEIL
WUT
Blut ist ein ganz besondrer Saft.
(Goethe, Faust I)
Ich hasse die Welt im Sommer und bei Licht,
ich hasse die Welt, wenn ein neuer Tag anbricht,
ich hasse die Menschen im Frühling und beim Leben,
ich hasse die Menschen, wenn sie lächelnd vergeben …
Zu dieser Zeit blieb ich in meiner Hölle, mit meiner eignen Wut,
in dieser Zeit zücht ich den Hass und zehr von seiner Glut,
durch diese Zeit wächst er in meinem Haus,
und ist er groß, lass ich ihn raus.
Ich liebe die Menschen, wenn der Zorn sie überfällt,
Ich liebe die Menschen, wenn der Schmerz sie quält,
ich liebe die Welt im Winter und bei Nacht,
ich liebe die Welt, wenn das Böse in ihr wacht …
Zu dieser Zeit verließ ich meine Hölle, samt meiner eignen Wut,
in dieser Zeit bring ich den Hass, dass ihr euch labt an seiner Glut,
durch diese Zeit wächst er in eurer Welt,
dort lass ich ihn, dass er in eure Herzen fällt.
Ich hasse die Welt im Sommer und bei Licht,
doch ich liebe sie, wenn sie über euch zerbricht.
(Meike)
4. KAPITEL
Anja
Nie hätte ich gedacht, dass das wiederkommt. Mein Magen, der als kalter Klumpen in meinem Leib liegt. So wie in der Zeit, als ich mit Marvin nicht mehr weiterwusste. Ich wachte morgens mit diesem Klumpen im Leib auf. Ich kam am Mittag mit diesem Klumpen im Leib zur Tür herein. Immer die Erwartung: Nichts wird friedlich sein, etwas wird passiert sein, etwas wird passieren, etwas werde ich in Ordnung bringen müssen.
Und jetzt wieder. Es wiederholt sich mit Meike auf andere Art. Denn Meike richtet ihre Spitzen nicht nur nach außen. Sie richtet sie vor allem gegen sich selbst. Und mein Ärger, mein Beleidigtsein, meine Verletztheit über das, was sie mir an den Kopf wirft, ist untrennbar verbunden mit einer großen Angst um sie. Am ruhigsten bin ich noch, wenn sie es schafft, in die Schule zu gehen. Wenn sie es schafft, sich dem äußeren Regelsystem zu unterwerfen, dann hat sie offensichtlich ein Raster, einen Halt, an dem sie sich entlanghangeln kann. Zwei Gründe können sie von der Schule abhalten. Der erste: Sie hat Migräne, verbunden mit einer Übelkeit und Schmerzen, die sie so erschöpfen, dass sie ein bis zwei Tage das Bett hüten muss. Das tritt oft ein vor Klausuren. Schafft sie die Klausur noch mit letzter Kraft, ist sie spätestens danach zu nichts mehr fähig. Natürlich finde ich es entsetzlich, dass Klausuren sie offensichtlich so unter Druck setzen. Dennoch ist ein solcher Anlass irgendwie gut zu ertragen, denn man kann Anfang und Ende erkennen. Der zweite Grund: Sie möchte sich verstecken. Das Gefühl, hässlich zu sein, ist so übermächtig, dass sie sich niemandem zeigen möchte. Sie glaubt niemandem, dass er sie mag, dass er an ihr interessiert ist, ihr Bild von sich selbst ist abgrundtief hässlich. Wie harmlos war das noch im letzten Jahr. Das Ausmaß der Selbstzweifel, wie die Pubertät sie eben mit sich bringt. Trotz Mädchenlobby und Beratung, sie steigerten sich zu diesem enormen Selbsthass, dem jede vernünftige Grundlage fehlt. Und wenn der wütet, ist kein Ende abzusehen. Und er macht mich ratlos, unendlich hilflos … Wie ist er einzudämmen? Wenn man Meikes Selbstbeschreibung Glauben schenkt, ist sie ein hässlicher Riese, der Glöckner von Notre Dame, nur in dreifacher Vergrößerung, und sie glaubt nichts von dem, das dieses Selbstbild ändern könnte.
Komme ich nach Hause, denke ich: Was wird heute sein? Ich sehe Meikes geschlossene Zimmertür und weiß nicht, ob ich »Hallo« rufen soll oder warten, bis Meike herauskommt? Ich kann es nur falsch machen. Gehe ich hin, lass ich sie nicht in Ruhe. Gehe ich nicht hin, übersehe ich sie. Diesmal entschließe ich mich, erst einmal meine Tasche am
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