Schnittstellen
Schreibtisch abzustellen, danach setze ich in der Küche Kaffee auf. Ich höre, dass Meikes Zimmertür geöffnet wird. Sie tappt leise durch die Diele, kommt in die Küche geschlurft und lässt sich auf ihrem Platz am Tisch nieder. Sie sagt kein Wort, an den verquollenen Augen sehe ich, dass sie geweint hat. Die Gesprächseröffnung. Alles steht und fällt mit ihr. Was gestern richtig war, kann heute falsch sein.
»Hallo, Schatz, wie geht’s?«
Schon während ich spreche, weiß ich: Fehler!
»Schlecht!«, antwortet Meike mit belegter Stimme, »schlecht! Das weißt du doch, dass es mir immer schlecht geht! Hörst du mir nicht zu, oder was?«
»Aber es ist doch unterschiedlich«, wende ich ein.
Meike sieht schwach und bleich aus, ich gehe zu ihr, möchte sie in den Arm nehmen.
»Fass mich nicht an«, schreit sie, »du weißt, dass ich das nicht mag!«
Was ist mit mir los, warum kapiere ich nicht, was mein Kind von mir will? Ich wende mich dem Herd zu. »Unterschiedlich«, nimmt Meike meinen Einwand auf, »unterschiedlich schlecht, mal mehr schlecht, mal weniger schlecht, schlecht!«
»Aber du hast doch gesagt, Frau Bayer tut dir gut.«
»Ja, aber nur für den Moment, wo ich da bin.«
»Und Virus?«
»Er ist nicht wie Pollyanna. Er schmust nicht. Er nützt mir nichts.«
Tränen rollen über Meikes Wangen.
»Aber der Urlaub mit Carina, der hat dir doch gefallen?«
»Schon, aber …« Meike hebt resigniert die Schultern.
Gott. Immer diese aussichtslosen Dialoge. Wenn es schlecht ist, ist es schlecht. Es liegt nicht in meiner Macht, das zu ändern. »Dann weiß ich auch nicht …«
Meike springt auf. »Du weißt nicht, haha, die große Allwissende weiß nicht, ich weiß, dass du nichts weißt, ich weiß, dass du mich nicht magst, aber du musst es wissen, du hast mich in die Welt gesetzt, sag mir, warum? Aber das kannst du nicht, nicht wahr? Bestimmt wärst du froh, wenn ich weg wäre … einfach weg, wie nie da gewesen …!« Sie stürzt aus der Küche, rennt in ihr Zimmer und schlägt die Tür zu, dass sie im Rahmen bebt.
Ich lasse mich auf einen Stuhl fallen und lausche. Manchmal tobt Meike im Zimmer, manchmal schmeißt sie sich nur auf ihr Bett. Diesmal ist es ruhig. Diesmal gehe ich nicht hinterher. Ich bin müde. Ich gieße mir einen Kaffee ein, mache mir ein Brot, greife mit zittrigen Händen nach der Zeitung, als die Küchentür wieder aufgerissen wird. Meike stürmt herein.
»Ich will nicht mehr!«, schreit sie. »Ich möchte nicht mehr hier sein! Lasst mich doch einfach gehen. Dann geht es euch doch auch besser!« Mit diesen Worten poltert sie hinaus, reißt die Korridortür auf und ich höre, dass sie die Treppen im Hausflur nach oben läuft.
Was hat Meike vor? Will sie aufs Dach? Ich muss ihr sofort hinterher! Aber warum kann ich mich nur so langsam bewegen? Meine Knie zittern bei jedem Schritt. Im Treppenhaus ziehe ich mich am Geländer die Stufen hinauf. Meike, was ist nur los mit dir?
Meike kauert vor der Tür zum Dachboden. Die Tür ist verriegelt. Meikes Körper ist zusammengerollt zu einer Kugel. Sie rührt sich nicht. Eine starre Kugel. Ich knie mich neben sie, streiche mit der Hand über ihren Rücken, sie bewegt sich nicht. Und mir fällt ein, wie ich mich einmal zurückgezogen habe in mich. Das erste und einzige Mal, als mein alkoholkranker Exmann die Hand gegen mich erhoben hat. Ich zog mich zurück und war nur noch existent als kleiner Lichtpunkt in meinem dunklen Körper. Und ich wollte nicht mehr heraus und erst im Krankenhaus, als ein Freund stundenlang am Bett gesessen, meine Hand gestreichelt und auf mich eingeredet hatte, taute ich wieder auf, und das Eis löste sich auf in einem Schwall von Tränen.
Und nun ist Meike so starr und ich denke, jetzt musst du sie herausholen, und ich streichle sie ohne Unterlass und erzähle ihr alles, was ich gut finde am Leben. Und es dauert lange, endlos lange, bis sie sich das erste Mal rührt, schwach ihren Arm hebt und sagt: »Lass mich.«
Meike
Mir ist alles zu viel. Ich bin gar nicht mehr im Stande, irgendwas zu tun. Ich will auch gar nichts mehr tun. Ich will nur weg. Immer wieder Streit mit meinen Eltern. Ich habe aufgegeben, in einem normalen Ton mit ihnen zu reden, denn dann hören sie mich gar nicht. Sie sehen nicht, dass mir etwas fehlt. Also schreie ich sie an und beschimpfe sie. Und dann hören sie mir zu. Aber verstehen tun sie dennoch nicht. Es ist zum Verrücktwerden. Ich kann ihnen zurufen, was ich will. Ich brülle sie
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