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Schnittstellen

Schnittstellen

Titel: Schnittstellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anja Abens
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unregelmäßig zu atmen, eben weil ich so darauf bedacht war, genau das nicht zu tun. Manchmal musste ich dann die Kopfhörer abnehmen und die Musik ausmachen. Das habe ich gehasst, ohne Musik unter den vielen Menschen. Dann fühle ich mich schlecht. Und genau so geht es mir bei der Gruppen- und Bewegungstherapie auch oft.
    Ein regelmäßiger Termin ist auch die nervende Entspannungsübung. Man liegt auf dem Rücken und ballt zum Beispiel die Hand zur Faust und entspannt danach wieder und das dann mehrmals hintereinander. So etwas Überflüssiges! Es ist in Ordnung, weil man weder quatschen noch etwas mit anderen Patienten zusammen machen muss. Es nervt nur, dass es so still ist, da habe ich auch wieder Angst, dass ich laut atme oder husten muss und so die Aufmerksamkeit erregen könnte. Während dieser Übung denke ich darüber nach, was ich zeichnen, schreiben oder wie ich alles besser machen könnte, wie ich mich zum Beispiel dazu bringen könnte, einfach nichts mehr zu essen. Darüber denke ich hier oft nach. Ich nehme mir vor, nichts zu essen oder nur ganz wenig. Ich bin sehr schlecht damit gefahren, ganz wenig zu essen, weil es dann nicht dabei bleibt. Wenn ich einmal anfange zu essen, kann ich nicht mehr aufhören. Früher war das anders, vor einem Jahr war noch alles gut. Da habe ich einfach einen Tag lang gar nicht gegessen. Das war in Ordnung. Woher ich damals die Disziplin genommen habe, weiß ich nicht mehr. Dann, ab dem Geburtstag von Lena, wurde alles anders. Da stand so viel leckeres Essen herum, wie eben immer auf Feiern. Es war sehr verlockend. Ich dachte, ein bisschen mehr essen als sonst, das ist in Ordnung, aber es funktionierte nicht. Ich musste immer weiter essen, wie unter Zwang, als wenn ich alles in mich hineinstopfen müsste. Ich verlor die Kontrolle, es war der grausamste Tag meines ganzen Lebens, und seitdem stecke ich nicht mehr in der Magersucht, sondern in der Bulimie fest und mache mir jeden Tag Gedanken darüber, wie ich wieder zur Magersucht zurückkomme. Von der Traufe in den Regen, sozusagen. Ja, über so etwas denke ich dann nach, während im Hintergrund auf der Kassette das Meer rauscht. Tolle Therapiemethode, echt. Respekt!
    Nur zur Kunsttherapie gehe ich gern. Da bekommen wir irgendein Thema und dürfen malen. Jeder für sich allein. Wunderbar, mehr will ich doch gar nicht.
    Erst in der zweiten Woche hatte ich ein Gespräch mit der mir zugeteilten Therapeutin. Sie hatte noch Urlaub gehabt. Da hab ich mich gefragt, ob es ratsam ist, einem Patienten zu sagen, dass seine Therapeutin noch in Urlaub ist, während er selbst völlig am Ende ist. Die Vorstellung, dass ich mir die Arme aufschlitze und mir wünsche zu sterben, während die irgendwo in der Sonne liegt, obwohl sie sich angeblich zum Beruf gemacht hat, Menschen wie mir zu helfen, das finde ich pervers. Ich mag sie allein deswegen nicht. Weil sie zu dumm ist, sich eine gute Ausrede für ihr Fehlen auszudenken. Ein Verkehrsunfall, eine Krankheit … Weil es ihr wichtiger ist, sich zu entspannen, als den Leuten zu helfen, die ihr diesen Urlaub sozusagen finanzieren. Unsympathische Frau. Jedenfalls ist sie jetzt da und ich hatte meine erste Stunde. Und es war langweilig, öde, nichtssagend. Ich hätte mich genauso gut mit einem Baum unterhalten können. Okay, sie war ganz nett. Aber ist das hilfreich? Erfrischend? Oder wenigstens unterhaltsam? Fehlanzeige. Sie guckte mich nur an, fragte hin und wieder etwas, sagte ein paar Worte, und dann herrschte Stille. Wahrscheinlich wäre es meine Aufgabe gewesen, diese Leere mit Worten zu füllen, aber ich hatte keine Lust, so viel zu reden. Und die Fragen, auf die ich antworten sollte, gaben auch nicht genug Stoff her. Jedenfalls ist diese Frau also eine Zeitverschwenderin, wenn man es so sagen will. Macht Urlaub und bringt mich so um Therapiestunden – und wenn sie dann eine Therapiestunde gibt, spricht sie innerhalb dieser Zeit, wenn man es aufrundet, vielleicht drei Minuten. Lächerlich. Gott sei Dank auch ein bisschen lachhaft. Haha.
    Anja
    Ich freue mich. Fast könnte man meinen, wir haben ein Ferienwochenende vor uns. Karl und Carina wirken ebenfalls erwartungsvoll. Endlich Meike wiedersehen. Mit eigenen Augen sehen, wie es ihr geht. Wir werden in dem Kurort übernachten. Mit der Klinik ist verabredet, dass Carina als Gast in Meikes Zimmer schlafen darf. Wir können uns alle nicht vorstellen, wie es Meike wohl geht. Können drei Wochen in einer Klinik wirklich etwas ändern? Wie

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