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Schnittstellen

Schnittstellen

Titel: Schnittstellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anja Abens
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mehr sehen können. Mir ist seltsam zumute. Ich hätte sie lieber mit nach Hause genommen. Es kommt mir falsch vor, nur mit Carina auf dem Rücksitz abzufahren.
    Meike
    Ich fühl mich ausgeschlafen, obwohl ich vom Wecker geweckt werde. Ich fahre mir durchs Haar. Da ist nicht mehr viel. Fast gar nichts mehr. Ich hatte ja schon vorher kurze Haare, aber jetzt ist da kaum noch etwas zwischen den Fingern. Ich springe aus dem Bett, laufe ins Bad und blicke in den Spiegel. Wunderbar! Endlich ein anderes Bild. Es ist ungewohnt. Wie bei dem Friseur, als ich mir mit zehn Jahren zum ersten Mal meine langen Haare habe abschneiden lassen. Das war genauso merkwürdig. Ich kann gar nicht aufhören, in den Spiegel zu gucken. Nicht, dass ich es schön finde. Es ist lediglich ungewohnt. Ein Bild, dass ich noch ein paarmal im Spiegel angucken kann, bevor ich mich daran gewöhne und anfange es zu hassen. So war das bisher immer mit einer neuen Frisur oder Haarfarbe. Für ein paar Tage ist es interessant, was ich sehe, weil es eben etwas Neues ist, dann wird es normal. Und bald darauf fühle ich mich wieder hässlich und habe keinen Bock mehr, meine dämliche Visage zu sehen.
    Ich sollte nicht trödeln, ich muss schließlich so früh wie möglich aus dem Haus, damit niemand mitbekommt, dass ich fortgehe … könnte immerhin doch mal sein, dass es jemanden interessiert, was ich vorhabe, und derjenige Fragen stellt. Ich gehe duschen und ziehe mich an. Ganz viele Sachen übereinander, es ist kalt. Ich hab eine neue graue Mütze, die setze ich auf. Ich finde, es sieht lustig und frech aus, wenn die kurzen Haare unter der Mütze hervorgucken. Ich pack ein paar Sachen ein. Das Geld, das meine Eltern mir am Wochenende hiergelassen haben natürlich, etwas zu lesen, etwas zu schreiben, mein Handy, alles, was ich brauchen könnte. Und die Packung Zigaretten. Die habe ich mir vor einer Woche gekauft, und es sind noch ein paar übrig. Ich finde es nicht sonderlich cool zu rauchen, aber ich denke, dass es doch den Versuch wert wäre, diese ganze Ess- und Brechsuchtkacke und die Ritzerei gegen eine Sucht zu ersetzen, die in der Öffentlichkeit besser angenommen und in die Gesellschaft integriert ist: Rauchen. Wenn so viele Menschen süchtig nach Zigaretten sind, dann kann ich das vielleicht auch werden. Und soweit ich gehört habe, kann man mit einer Sucht eine andere ersetzen. Rauchen ist besser. Klar, es ist ungesünder, als sich zu ritzen, und ungefähr genauso ungesund wie Bulimie, aber man kann es öffentlich ausleben, ohne dass sich jemand entsetzt nach einem umdreht.
    Selbstverletzung ist ja so gruselig, und so buhu! Und eklig! Und sieht so grausam aus!
    Aber Rauchen? Ungesund? Selbstzerstörerisch? Ach, Quatsch. Die Lunge, die trägt man schließlich nicht außen, da sieht niemand, dass so eine schwarze Stinkelunge tausendmal hässlicher ist als ein paar Kratzer auf dem Arm. Deshalb habe ich mir letztes Wochenende vorgenommen, Raucher zu werden. Natürlich hat das nicht nur den Nutzen, anerkannt und als Gesellschaftsmitglied akzeptiert zu werden, sondern auch wieder einen essenstechnischen Aspekt. Rauchen macht schlank. Ja. Zwei Fliegen mit einer Klappe, wenn man es so will. Letztlich muss ich aber zugeben, dass mein Plan nicht aufgeht. Zigaretten schmecken nicht. Carina meinte, ich würde nur paffen, aber ich kann es nicht wirklich anders. Rauchen ist eine eklige Angelegenheit. Ich habe mir daher vorgenommen, nur noch die Packung zu leeren und dann das Rauchen als Lösung meiner Probleme aufzugeben. Ich bin eben nicht anfällig für so einen trendigen Mist und das macht mich sogar etwas stolz.
    Schon seit über zwei Stunden laufe ich diese dämliche Straße entlang. Meine Finger sind steifgefroren. Meine Füße sind sicher schon blau angelaufen. Ach, mein ganzer Körper ist ein Eisklumpen. Ich sehe bei jedem Schritt meinen Atem vor mir. Weiße Wolken, die mich immer wieder darauf hinweisen, dass eine eisige Kälte herrscht. Nervig, wenn man seinen eigenen Atem so sieht. Endlich eine Bushaltestelle. Ich möchte nach Cham, die nächste große Stadt. Seltsamerweise fährt der Bus nicht dorthin. Eigenartig. Auf dem Plan an der Klinik stand diese Haltestelle, und so viele Busse fahren hier nicht?! Aber egal, es ist sowieso noch zu früh für den ersten Bus, es ist halb acht und neblig und dämmrig.
    Auf der anderen Straßenseite räumt ein alter Herr irgendwelche Pakete oder Koffer in sein Auto. Seine Frau, zumindest scheint sie es zu sein, steht

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