Schnittstellen
der Himmel blau strahlte. Und ich war immer vorsichtig. Ich habe nie Kontakt zu Fremden gesucht. Meike ist auch nicht leichtsinnig. Aber dann trifft mich der Gedanke mit einer Wucht, dass es mir die Luft wegnimmt. »Und die vermisste junge Frau? Karl, sie war der gleiche Typ wie Meike!« Das macht mir Angst. Das liegt nicht in Meikes Hand, wenn ein Fremder es auf sie abgesehen hat.
Karl nickt. »Das ist auch das große Problem für die Polizei«, sagt er mit belegter Stimme. »Darum machen sie sich besondere Sorgen. Teenager reißen schon mal aus, aber im Zusammenhang mit dieser Sache …« Er verstummt.
»Ja, und jetzt?«
»Sie haben gebeten, dass wir sie sofort benachrichtigen, wenn wir etwas von Meike hören?«
»Ja, aber das ist doch klar«, meine ängstliche Ratlosigkeit sucht ihren Weg in die Ungeduld, »ich meine, was machen die?«
»Die suchen natürlich nach ihr. Ich musste sie beschreiben und habe ihnen ein Foto gefaxt.«
Ich sinke zurück ins Sofa. Das ist alles unfassbar. Kaum gebe ich die Verantwortung für mein Kind ab, geht es schief. Meike ist verschwunden, sie wird gesucht. Ich versuche, nicht in Panik zu geraten. »Ich werde Anna und Jonas anrufen. Vielleicht meldet sie sich bei ihnen.« Zu den Eltern zurückgehen war für mich damals immer das Schwierigste, und es erschien mir zudem sinnlos. Denn ich wollte doch gerade einen anderen Wege finden. Meine Sorge wäre nicht so groß, wenn es die Vermisstenanzeige nicht gäbe. Ich weiß, dass Meike nicht ohne irgendein Zeichen aus unserem Leben verschwinden würde … aber die Vermisstenanzeige macht mich verrückt. Direkt hinter dem Ort fängt ein unübersichtliches Waldgebiet an, das bis in die Tschechei hineinführt. Und die Vorstellung von diesem Gebiet, in dem man niemand wiederfinden würde, macht mir Angst. Ich versuche, nicht daran zu denken. Ich weiß, wie ich mich in die Angst um meine Kinder hineinsteigern kann. Als Anna nach einer Fete morgens nicht in ihrem Bett lag, bin ich beinahe durchgedreht. Ich wusste, dass sie mit ihren Freunden am Pilzberg im Park feiern wollte, und meine Fantasie drängte mir Bilder von ihren Leichen auf und ich radelte in aller Herrgottsfrühe zu dem Jugendtreffpunkt. Dort war natürlich niemand mehr. Dann klapperte ich die Adressen ihrer engsten Freunde ab. Als Letztes die von dem Geburtstagskind. Als ich klingelte, erschien der verschlafene Kopf der Mutter am Fenster. »Anna? Ich weiß nicht, da sind noch einige gekommen, um hier weiterzufeiern. Mal schauen, ob sie noch da ist.« Kurze Zeit später polterte es im Treppenhaus. Annas Augen funkelten, als sie zerknautscht in der Haustür stand. »Mama, ich bin jetzt achtzehn. Die Sorgen hättest du dir mal früher machen sollen!«
»Es ist nie zu spät!«, antwortete ich.
Na ja, eigentlich vertraute ich meinen Kindern, aber hin- und wieder überfielen mich Grauenszenarien, denn schreckliche Dinge geschahen nun einmal.
Ich rufe Anna an. Sie reagiert besorgt. Sie liebt ihre kleine Schwester über alles und weiß, dass sie zurzeit gar nicht gut zurechtkommt. Anna fand die Idee mit der Klinik auch gut. »Klar, Mama, ich sage dir direkt Bescheid, wenn ich etwas höre. Soll ich nicht besser zu euch kommen?«
Nein. Ich weiß, dass Anna viel zu tun hat. Sie arbeitet und besucht die Abendschule und liegt oft im Clinch mit ihrem »Traummann«. Ich will auch nicht so einen Warteraum, in dem man sich gegenseitig in der Nervosität aufschaukelt. Und was, wenn Meike wirklich zu ihr will? Dann muss sie zu Hause sein.
»Also gut, melde dich bitte, wenn ich irgendetwas tun kann … Mama … ich hab dich lieb.«
Meike
Keine Ahnung, wo ich hin soll. Aber ich bin erleichtert. Weg von der Waage. Das war mein Ziel, das hab ich erreicht. Aber was nun? Zurück nach Köln? Nach Hause will ich nicht. Ich weiß überhaupt nicht, was ich jetzt machen soll. Ich entscheide mich dennoch dafür, nach Köln zu fahren, da kenne ich mich immerhin besser aus. Und die Zugfahrt ist lang. Ich könnte mein ganzes Leben im Zug verbringen. Sitzen und Musik hören oder nachdenken, lesen, zeichnen. Im Zug. In Bewegung. Irgendwohin. Nach vorn. Nachdem ich mir die Tickets und ein Croissant gekauft habe, setze ich mich in den Zug. Jetzt hab ich erst mal etwas Ruhe. Wärme und Musik. Was will man mehr …
Ich bin schon fast in Köln angekommen. Schwimmen gehen würde mir jetzt gefallen! Ich will schwimmen! Die Vorstellung ins Wasser zu springen und zu tauchen ist wunderbar! Ich würde gern auf der
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