Schnupperküsse: Roman (German Edition)
Ich denke, die Zeit vergeht so schneller, und so stehen wir um drei Uhr vor dem Melkstand der Uphill Farm.
»Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, dass wir einfach so bei Ihnen hereinplatzen«, sage ich zu Guy, währenddessen er die letzten Nachzügler der Herde zur Sammelstelle scheucht. Er trägt grüne Gummistiefel und einen Overall. Eine ausgebleichte blaue Kappe sitzt verkehrt herum auf seinem Kopf.
»Nein, überhaupt nicht«, erwidert er und lächelt. »Es ist schön, etwas Abwechslung und Gesellschaft zu haben.«
»Entschuldigen Sie das strenge Verhör von neulich. Ich habe die Kinder ermahnt, das in Zukunft zu lassen.«
»Na ja, jetzt da Fifi bei Ihnen war, wissen Sie sowieso alles. Ich bin mir sicher, sie hat mit nichts hinterm Berg gehalten«, seufzt er. »Ich habe das Auto vor Ihrem Haus gesehen. Die alte Klatschtante. Was hat sie über mich erzählt?«
»Wer behauptet denn, sie hätte von Ihnen gesprochen?«, frage ich und ziehe ihn für seine Arroganz auf, zu denken, er wäre Gegenstand unserer Unterhaltung gewesen.
»Natürlich hat sie das. Sie kann kein Geheimnis für sich behalten.«
»Haben Sie denn Geheimnisse?«, frage ich.
Er schüttelt den Kopf. »Ich befürchte, ich bin überhaupt nicht geheimnisvoll. Das, was Sie sehen, bekommen Sie auch. Gehen Sie schon mal hinein. Dort lang, am Tank vorbei und dann durch die Tür. Drinnen ist eine Bühne, von der aus Sie alles sicher beobachten können. Ich werde gleich bei Ihnen sein.«
Wir gehen in das Gebäude, vorbei an einem Edelstahltank und dann durch die Tür, die zum eigentlichen Melkstand führt. Das Radio läuft auf BBC Radio 1, Rock und Pop, was mich überrascht, denn ich hätte Guy eher als einen Hörer von BBC Radio 4, Nachrichten und Reportagen, eingeschätzt. Daneben brummen noch die Maschinen und gelegentlich muht eine Kuh. Es ist lauter und geräuschintensiver in dem Melkstand, als ich erwartet habe, und die Luft riecht stark nach Chemikalien und Kuhmist.
»Die Kühe kommen herein«, verkündet Sophie aufgeregt.
»Bleib hinter dem Geländer«, ermahnt Adam seine kleine Schwester und legt seine Hände auf ihre Schultern, um sie zurückzuhalten.
Auf gleicher Höhe mit der Bühne befindet sich auf jeder Seite eine Plattform für fünf Kühe. In der Mitte verläuft eine Grube, durch die Guy hin und her läuft und sicherstellt, dass die Kühe bis zum Ende durchgehen. Nachdem sich auf jeder Seite fünf Kühe eingefunden haben, betätigt er einen Hebel und die Türen zur Sammelstelle gleiten zu.
»Macht es den Kühen etwas aus, gemolken zu werden?«, ruft Georgia Guy zu.
»Sie freuen sich darauf, denn danach werden sie gefüttert«, ruft er ihr zurück.
»Sie sind sehr schmutzig«, sagt Sophie und rümpft die Nase. »Igitt.«
»Ihre Euter sind riesig – einige von ihnen können kaum gehen«, bemerke ich.
»Das ist bei älteren Kühen nun mal so«, erwidert Guy. »Da ist nicht mehr alles so straff.«
Da haben die Kühe und ich etwas gemeinsam. Ab einem gewissen Alter befindet sich alles auf dem absteigenden Ast.
»Und was den Schmutz betrifft«, fährt Guy fort, »wir desinfizieren und trocknen die Zitzen regelmäßig, denn wenn Bakterien in die Milch gelangen, müssen wir sie wegwerfen. Ho, Kylie.«
Der Euter der Kuh liegt tief, und ich sehe ein Geflecht geschwollener Venen auf der gesprenkelten Haut. Sie hat vier riesige Zitzen, so groß wie die Finger eines Mannes, aus denen Milch läuft.
»Ich schließe sie mit diesen Zitzenbechern jetzt an die Melkmaschine an«, erklärt Guy, während er die krallenförmige Vorrichtung mit den vier Röhren über die Zitzen der Euter stülpt. »Dann saugt die Vakuumpumpe die Milch pulsierend aus dem Euter, als würde ein Kalb die Milch aus ihr saugen. Und das Geräusch, das wir hier hören, ist das Pulsieren der Maschine.«
Für mich klingt es wie ein regelmäßiger Schlag, den ich hypnotisierend finde.
Guy geht weiter zur nächsten Kuh in der Reihe.
»Wie heißt sie?«, fragt Georgia.
»Das ist Rihanna. Neben ihr steht Amy. Adam, wenn du möchtest – und es dir nichts ausmacht, deine Stadtkleidung schmutzig zu machen –, kannst du herunterkommen«, sagt Guy. »Du kannst diesen Schalter umlegen, damit Kylies Milch von der Kammer hier in den Sammeltank geleitet wird. Sie wird über die Leitung an der Decke zur Milchkammer befördert.«
Adam geht hinunter und legt den Schalter um. Ich sehe, wie er an Guys Lippen hängt, ihm zuschaut und von ihm lernt, und ich erinnere mich mit Wehmut
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