Schnupperküsse: Roman (German Edition)
in meiner Brust an die schon längst vergangenen Tage, als er noch klein war und David half, das Auto sauberzumachen oder den neuen Fernseher anzuschließen.
»Pass auf ihre Schwänze auf, wenn du hier unten in der Grube bist«, warnt Guy ihn lächelnd. »Wenn sie sie heben, geh einen Schritt zurück, aber behalt die Kuh hinter dir im Auge! Kühe sind alles andere als sauber, doch das, was sie nun mal fressen, und das ist eine ganze Menge Gras am Tag, um Milch zu produzieren, muss auch wieder heraus. Abgesehen davon wächst auch noch jedes Jahr ein Kalb in ihnen heran, was an sich schon ein Wunder ist. Nun ja, zumindest für mich.«
»Ich glaube nicht an Wunder«, lässt Georgia ihn wissen.
»Ich denke, es ist besser, für alles aufgeschlossen zu sein«, antwortet Guy, entfernt die Zitzenbecher von den Kühen auf der linken Seite des Melkstands und lässt sie hinaus, um die nächsten fünf hereinzulassen. Alles folgt einem Rhythmus, und am Schluss gibt es ein Endprodukt. Und ein ziemliches Durcheinander, das aufgeräumt werden muss, so wie beim Backen.
Ich sehe Guy in einem völlig neuen Licht. Hinter der ruhigen Fassade schlummert ein Mann voller Leidenschaft. Die muss er wohl auch haben, sonst wäre er nicht vor Wut losgestürmt, um sein Gewehr zu holen. Er ist verletzt worden, was teilweise seine manchmal schroffe Art erklären lässt. Ich kann ihn verstehen – ich weiß, wie es sich anfühlt, verraten worden zu sein. Auch wenn David nicht mit meiner Schwester durchgebrannt ist, tut es trotzdem weh. Du liebe Zeit … reiß dich zusammen! Am Ende habe ich auch noch Mitleid mit ihm!
Adam und Guy bringen die Kühe hinaus aufs Feld und kommen wieder zurück, um den Melkstand zu kehren und abzuspritzen, damit er für das Melken morgen früh wieder sauber ist. Währenddessen schließen die Mädchen und ich Bekanntschaft mit Napoleon – so heißt Guys Hahn – und den langbeinigen roten Hühnern, die auf dem Hof umherspazieren und dabei nach dem Dreck auf dem Boden picken und kratzen.
»Kommt und seht euch die Milch in dem Tank an«, ruft uns schließlich Adam zu, und wir gehen zurück zur Milchkammer, wo Guy den Deckel des Edelstahltanks hochhebt.
»Hier drin wird die Milch kühl gehalten, bis der Fahrer sie morgen früh abholt.«
Ich habe noch nie so viel Milch gesehen, denke ich, und betrachte den Schaum, der sich oben gesammelt hat.
»Der sieht aus wie der auf einem der Kaffees im Coffeeshop«, bemerkt Adam.
»Du meinst einen Cappuccino«, sage ich.
»Ja, genau.«
»Wo sind die Tüten?«, fragt Georgia.
»Ich fülle die Milch nicht in Tüten ab«, erklärt ihr Guy. »Sie wird zu einem Zentrallager gebracht, das heißt zu einer Großmolkerei, wo sie verpackt und teilweise auch zu organischem Joghurt verarbeitet wird.«
»Sie sind also ein Biobauer?«, fragt Adam.
»Ich habe den Hof auf Bio umgestellt, deshalb auch die roten und weißen Kühe. Mein Vater hielt die schwarz-weißen Holsteinerrinder, doch für meine Zwecke eignen sich die Kurzhornrinder besser. Ihre Milchleistung ist geringer, und sie bleiben länger in der Herde. Außerdem werden die Stierkälber nicht gekeult, sondern großgezogen, da sie gutes Fleisch ergeben.«
Ich schaue hinüber zu den Mädchen, die anscheinend nicht verstanden haben, was Guy meint, worüber ich froh bin. Ich möchte ihnen nicht erklären, wie süße kleine männliche Kälber gekeult werden, was nicht heißen soll, dass ich bis zum heutigen Tag viel über Milchwirtschaft gewusst habe.
»Wieso haben Sie Ihren Betrieb auf Bio umgestellt?«, möchte ich wissen. »Ist das nicht viel teurer?«
»Ja, aber ich verdiene auch mehr dadurch. Doch darum geht es nicht. Ich dünge das Land nicht mit anorganischen Stoffen oder setze Antibiotika ein, denn ich glaube, das bekommt dem Vieh, dem Hof und letzten Endes den Menschen besser.«
Ich wusste bisher nicht, wie komplex die Milchherstellung ist, und bin überrascht, dass Guy ein moderner, fortschrittlicher Bauer mit festen Standpunkten ist, was die flächengebundene Nahrungsmittelherstellung und die Umwelt betrifft. Ich muss zugeben, er hat mich heute ziemlich beeindruckt.
»Wie viel Milch kann eine Kuh pro Tag geben?«, fragt Adam.
»Bis zu vierzig Liter, aber das hängt von ihrer Aufzucht, dem Stadium ihres Milchabgabezyklus und der Zusammensetzung ihres Futters ab.«
»Wie alt werden Kühe?«, möchte Georgia wissen. »Wir hatten nämlich mal Hamster, insgesamt drei, aber keiner von ihnen lebte lange.«
»Was aber
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