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Schock

Titel: Schock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hunter Evan
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entschlossen wir uns doch, es hinter uns zu bringen; er redete mir ein, daß alles gut gehen würde. Nun, Sie kennen das; Sie sind doch auch verheiratet?«
    »Ja«, sagte er.
    »Dann wissen Sie Bescheid.«
    »Ich war verheiratet«, sagte er schnell.
    »Haben Sie Kinder?« fragte sie und sah ihn plötzlich an.
    »Nein.«
    »Ja, dann …« Sie zuckte die Achseln und drehte sich wieder zum Fenster. »Ich glaube, er wollte das Kind wirklich. Oder auch nicht, ich weiß es nicht; vielleicht hatte er genau so viel Angst wie ich selber. Aber sehen Sie, er redete mir ein, daß alles gut gehen würde, und nach einer Weile kam es mir auch nicht mehr so schlimm vor; schließlich, ich weiß nicht, wie es kam – mütterliche Hormone, wenn Sie wollen –, schließlich fing ich an, mich auf das Kind zu freuen, und gerade da verlor ich es. Ich war im sechsten Monat. Es war eine ziemliche Sauerei, ekelhaft, ich will nicht mehr daran denken.«
    Lange sagte sie kein Wort. Er glaubte schon, ihre Geschichte wäre zu Ende, doch dann fuhr sie plötzlich fort: »Am Abend vor dieser Geschichte auf der Brücke hatten wir davon gesprochen. Endlich hatten wir darüber gesprochen, nachdem wir uns monatelang davor gedrückt und uns vorgemacht hatten, es wäre gar nichts so besonders Schreckliches passiert. Nun redeten wir endlich darüber. Wir schrien uns an, in dieser grässlichen, billigen kleinen Wohnung, die wir damals hatten; wir machten uns gegenseitig Vorwürfe – aber was hatten wir uns schon vorzuwerfen? Mein Versagen, sein Versagen, das Versagen der ganzen Welt, den Tod, das Leben? Wer wußte damals schon, was Tod oder Leben bedeutet? Wer kannte schon etwas anderes, als die Qual, jeden Morgen aufzuwachen und dem anderen ins Gesicht zu sehen, die Augen voll unausgesprochener Anklage, bis zu diesem Abend, an dem alle Anklagen ausgesprochen wurden?«
    Die Blonde atmete plötzlich tief ein.
    »Am nächsten Morgen regnete es«, sagte sie. »Ich stand auf und zog nur meinen weißen Regenmantel an, sonst nichts, und ein altes Paar Gummistiefel, die ich besaß, seit ich achtzehn war und zur Universität ging. Ich ging auf die Queensboro Bridge; wenn das Leben nicht mehr zu bieten hatte, wenn das alles war, dann konnte es mir gestohlen bleiben. Ich hatte keine Lust, zu warten, bis sie mich Stück für Stück auseinander nahmen und auf der Straße verbluten ließen. Ich würde es selbst tun, und zwar auf meine Art. Ich würde mich selbst in eine Million Fetzen zerreißen, bevor andere mir die Arbeit abnahmen. Schließlich stand ich auf der Brücke, nahe dem Ufer von Welfare Island, und fragte mich, ob ich zurückgehen und einen Brief hinterlassen sollte; ich beschloß, es zu lassen – zum Teufel damit, sollte er sich selbst seinen Vers darauf machen. Ich sah hinunter – ich weiß nicht, warum; komisch eigentlich, was so in einem vorgeht. Ich hatte vor, von der Brücke zu springen, aber ich wollte sehen, wo ich landen würde.«
    Sie hielt inne und atmete noch einmal schnell und heftig ein.
    »Da unten fuhr eine Krankenschwester einen alten Mann im Rollstuhl durch den Regen. Sie hielt einen Schirm über seinen Kopf. Es goß in Strömen, und die beiden wanderten im Regen herum – einfach verrückt. Plötzlich hob der alte Mann den Kopf und sah mich auf der Brücke stehen. Er lächelte und winkte mir zu.« Sie hielt inne. »Und da ließ ich es.«
    »Warum eigentlich?«
    »Ich weiß nicht. Möglicherweise habe ich gedacht, wenn ein alter Mann im Rollstuhl an einem so widerlichen Tag wie damals einen Grund zum Winken und Lächeln findet, was soll's dann eigentlich?« Sie drehte sich plötzlich zu ihm um. »Vielleicht kam mir auch nur die Idee, wenn ich den anderen schon über war, so flink wie möglich mit den Wölfen zu heulen. Nach Hause zu gehen, mit meinem Mann zu reden und ihn aus dieser verdammten Sackgasse herauszuholen, bevor die Falle zuschnappte – das war so ungefähr, was mir durch den Kopf ging. Einerlei – als ich zu Hause ankam, war ich mir nicht mehr so sicher. Ich saß in der Küche am Tisch – immer noch in Regenmantel und Gummistiefeln – und war mir ganz einfach nicht mehr so sicher. Irgendwie hatte ich das Gefühl, etwas Unvermeidliches nur aufgeschoben zu haben. Und warum, zum Teufel? Nur weil mich ein alter, kranker Mann angelächelt und zu mir heraufgewinkt hatte? Wahrscheinlich hatte er nur gelächelt und gewinkt, weil er mir unter den Regenmantel sehen konnte.« Die Blonde zuckte die Achseln. »Immerhin hat

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