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Schock

Titel: Schock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hunter Evan
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her. »Immer auf meinen Finger sehen«, tönte seine Stimme, »und nun werden deine Augen schwer und deine Lider werden schwer«, tönte seine Stimme, »du kannst sie kaum noch offen halten«, tönte seine Stimme, und bevor man darauf gefaßt war, fielen dem Hypnotisierten, wie im Film, die Augen zu, und er tat, was Jesse ihm zu tun befahl. Einmal ließ er Andy Grange auf dem Deck herumhüpfen und wie einen Hund bellen, und ein anderes Mal hypnotisierte er Mr. Carver auf dessen eigene Bitte, doch als er ihn in Trance hatte, getraute er sich nicht, ihm Befehle zu erteilen, denn Mr. Carver war der rangälteste Nachrichtenoffizier an Bord und nicht eben ein Mann, den man an Deck herumhüpfen ließ.
    Jesse liebte das mexikanische Mädchen von ganzem Herzen und unterließ es nie, allen, die zuhören wollten, von ihr zu erzählen – und das war praktisch die ganze Besatzung. Seine Beschreibungen wurden von Mal zu Mal intimer, so daß die Zuhörer, die atemlos an seinen Lippen hingen, schließlich kaum noch in dem engen Sonarraum Platz fanden. Er begann damit, ihre kaffeebraune Haut, ihr kohlschwarzes Haar, ihre kohlschwarzen Augen zu beschreiben, beschrieb dann ihre gesamte Anatomie in allen Einzelheiten und verbrämte seine Schilderungen mit wilden Geschichten über Voodoo-Riten, an denen sie teilgenommen hatte. Er erzählte ihnen, wie sie einmal einem lebenden Huhn den Hals durchgebissen, ihre nackten Brüste mit Blut beschmiert und ihn dann geküßt hatte, das Blut noch warm auf den Lippen. Er erzählte ihnen, wie sie einmal ihre tote Schwester aus dem Grab beschworen hatte, und wie er sie einmal im Hinterzimmer eines Begräbnisunternehmens gehabt hatte. Er erzählte ihnen von allem, was sie je miteinander getrieben hatten oder treiben wollten, ein Durcheinander von Sex und schwarzer Magie, Chilisauce und Räucherwerk, Tortillas und Schmutz. Er überließ nichts der beschränkten Einbildungskraft seiner Bordkameraden; es dauerte nicht lange, und die funkeläugige Geisterbeschwörerin von San Antonio war für jeden an Bord das Mädchen, das in der Heimat auf ihn wartete.
    Und nun küßte er Sally, als hätte er sein mexikanisches Mädchen in der Heimat ganz und gar vergessen; aber Sally machte sich nichts daraus – noch nicht. Gerade Sally schien von ihnen am deutlichsten zu spüren, daß ein gewaltiges Gelage im Kommen war, und sie hatte nicht die Absicht, es zu verderben, indem sie mit Jesse ins Bett ging – jedenfalls vorerst noch nicht. Sally war klug genug, um zu wissen, daß zu einem ausgelassenen Gelage auch Sex gehört; alles mußte mit Bedacht und Überlegung geschehen, damit es den ganzen Nachmittag vorhielt und die blanke Oberfläche der Ausgelassenheit, der sie alle zusteuerten, nicht bedrohte oder erblinden ließ. Sally war ein gescheites, erfahrenes Mädchen – Buddwing wußte, daß sie nicht in sichereren Händen sein konnten als in ihren; zum Teufel, er hatte es gewußt, seit sie einander auf dem Dach des Mannschaftsclubs begegnet waren. Doch obwohl er wußte, daß Sally mit ihrem goldblitzenden Lächeln die Erfahrenere von beiden war, diejenige, die den Spaß dirigieren und den Schritt angeben würde, hatte er sich zu der still lächelnden, insgeheim belustigten Tina hingezogen gefühlt, wohl vor allem, weil sie ihn an ein Leben erinnerte, das er zu Hause hatte verlassen müssen und das er verzweifelt entbehrte.
    Das gewaltige Gelage, das sich vorbereitete, war ein Teil dieser Sehnsucht nach dem Leben in der Heimat, sollte es überdecken, sollte seine Konturen verschwimmen lassen, damit es sich nicht mehr so beängstigend wirklich ausnahm. Japan – das war nicht die Wirklichkeit; die törichte Marineuniform, die er trug, war nicht die Wirklichkeit; der Zerstörer, im Hafen vertäut mit der Flagge am Heck, sein »bitte an Bord kommen zu dürfen, Sir« war nicht die Wirklichkeit. Doch außer diesen Dingen gab es kein Leben, und er ertrug sie mit trübseliger Geduld, weil er wußte, daß es eines Tages damit ein Ende haben würde, daß er eines Tages nach Hause kommen und L.J. Beethoven, Rotweste und all die anderen wieder sehen würde. Nein, Beethoven würde er nie wieder sehen; Beethoven war bei der Invasion von Tarawa in die Unterwasserverhaue geraten und von den Japanern, als er sich freizukämpfen versuchte, mit Maschinengewehren zusammengeschossen worden. In einem Brief von L.J. hatte gestanden, was mit Beethoven vor Tarawa passiert war, und er haute in der düsteren, von Radarscheiben

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