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Schock

Titel: Schock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hunter Evan
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Straßenbahnwagen und rannten wie wild vor der MP-Patrouille davon, zwei Marinesoldaten mit weißen Helmen, weißen Gamaschen und weißen Schlagstöcken in einem Jeep, der eine von ihnen rief: »He, Leute, stehenbleiben, klar!«, doch Jesse und er versteckten sich in einer ausgebombten Straße und entkamen ihnen. Danach trafen sie die Mädchen, es war ein Uhr mittags, Yokohama ein Ruinenskelett mit Trümmerbergen auf den Straßen; sie trafen sie auf dem Dach des Mannschaftsclubs, wo Jesse sich mit einer von ihnen, der älteren mit dem Goldzahn, fotografieren ließ. Später gingen sie die Treppe hinunter, selbst zwischen den Trümmern wuchsen blühende Kirschbäume; sie blieben stehen, um dem japanischen Straßenmaler zuzusehen, der das Porträt eines Sergeanten zeichnete, umstanden von kleinen Mädchen mit glattem Haar und Stupsnasen, die lächelnd zusahen, und das Mädchen, das er auf dem Dach des Mannschaftsclubs kennen gelernt hatte, hängte sich verstohlen bei ihm ein.
    »Wohin wollt ihr eigentlich?« fragte Jesse.
    »Nach Hause«, sagte Sally. »Das habe ich doch schon gesagt.«
    »Und wo ist das, wenn man es genau nimmt?«
    »Genau?« fragte Sally kichernd. »Er will es genau wissen, Tina.«
    »Eben, ich will es genau wissen«, sagte Jesse.
    »Wenn man es genau nimmt, ist es in der Mott Street.« Sally kicherte noch immer. »Wissen Sie genau, wo das ist?«
    »Genau nicht«, mußte Jesse zugeben.
    »Wohnt ihr zusammen?« fragte Buddwing. »Und heißen Sie Tina?«
    »Ja, so heiße ich«, sagte Tina. Ihre Stimme war winzig, mit einem leichten orientalischen Beiklang, irgendwie musikalisch. »Und wie heißen Sie?«
    »Sam.«
    »Warum wollen Sie wissen, ob wir zusammen wohnen?« fragte Sally und drehte sich zu Buddwing um.
    »Ich bin nur neugierig.«
    »Seid ihr Schwestern?« fragte Jesse.
    »Nein«, sagte Sally lächelnd, wandte sich dann wieder zu Buddwing um und fragte abermals: »Warum interessiert Sie das, ob wir zusammen wohnen?«
    »Vermutlich, weil er hofft, daß ihr uns zum Tee einladet«, sagte Jesse.
    »Chinatee sehl gutt«, sagte Tina in gespielt chinesischem Singsang.
    »Sehl, sehl gutt«, sagte Sally, den übertriebenen Akzent aufnehmend. »Grün und heiß.«
    »Schließlich haben wir euch diese Schrottmühle in Gang gebracht; und fahre ich euch etwa nicht den ganzen Weg bis Chinatown? Danach hat man doch wohl eine Tasse Tee verdient, oder?«
    »Das wäre das Mindeste«, sagte Sally und kicherte.
    »Und was mögen Sie gern zum Tee?« fragte Tina. »Wir haben Glückskuchen, Mandelgebäck, Vanilleeis, Schokoladeeis, Erdbeereis, Orangesorbet, Kumquat …«
    »Ich möchte eigentlich nur eine ordentliche Tasse Tee; vielleicht ein bißchen Musik dazu und einen Platz, an dem ich die Füße ausstrecken kann«, sagte Jesse. »Mann, ich bin seit gestern um vier auf den Beinen.«
    »Sollen wir Ihnen auf der Samisen vorspielen?« fragte Tina.
    »Mir wäre lieber, wenn Sie uns auf dem Plattenspieler etwas vorspielen.«
    »Nun, wir werden sehen«, sagte Sally. »Bitte, biegen Sie hier ab, dies ist Canal Street.«
    Sie kamen in das Labyrinth von Chinatown und durchkreuzten die Straßen auf der Suche nach einem Parkplatz. Es war nicht das nächtliche Chinatown voll roter und grüner Neonlichter, voller Touristen, die noch nicht wissen, in welches Restaurant sie gehen wollen, voll funkelnd beleuchteter Andenkenläden mit Papierdrachen und Pappschwertern, voll Halbwüchsiger, die Feuerwerkskörper einkaufen. Es war ein Stadtviertel, in sehr ähnlicher Art chinesisch, wie jene Seitenstraße in Yokohama japanisch gewesen war, ein Stadtviertel, in dem Leute wohnten und ihren täglichen Geschäften nachgingen. Um halb zwei Uhr mittags hatten die Neonlichter noch nichts zu verkünden. Riesige, stumme chinesische Schriftzeichen standen weiß und blässlich auf den Mauern der Mietshäuser. Die Andenkenläden schienen die Attraktivität ihrer vielfältigen Ware für den Ansturm des Samstagabend aufzuspeichern – Chinesinnen, die in Schaufenstern porzellanene Chinesenkrieger abstaubten, ein Mann, der eine bunte Papierlaterne aufhängte, die Schnur straffzog, die Glühbirne probierte, nur ein schwaches Aufglühen im mittäglichen Schaufenster. Jungen und Mädchen schwatzten miteinander auf der Straße, alte Männer standen vor Zeitungsständen und lasen die Vorderseiten chinesischer Zeitungen. Frauen betraten Läden, kamen heraus; die Angebote der Schaufenster muteten Buddwing exotisch an: Maronen und grüne Zwiebeln,

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