Schock
Hinterteil unter dem festen, blauwollenen amerikanischen Rock klopfen konnte, und sagte: »Komm, Sally, gehen wir wieder in die Wohnung.«
»Und was willst du da, Kleiner?« fragte Sally, löste seine Hand von ihrer Brust, wirbelte dann aus seinem Arm wie eine Tänzerin und hängte sich bei Jesse ein.
»Ich werde dir den Schlitz von deinem Kleid bis zum Hals aufreißen«, sagte Buddwing betrunken.
Tina kicherte und sagte: »Er will dir ein Stück davon abreißen, Sally, genau das will er.«
»Sicher, du Bastard, du zerreißt mein Kleid, aber du zahlst dafür«, sagte Sally, und dann gingen sie wieder in die Wohnung hinunter.
Und natürlich zerrissen sie ihr das Kleid.
Zu dritt, Jesse, Tina und Buddwing, rissen sie ihr Kleid in Fetzen, während Sally kichernd und aufreizend mitten im Raum stand. Danach hüllten sie sie nackt in die Perlenvorhänge, die sie von der Decke gerissen hatten, schleppten sie ins Schlafzimmer und fielen dort lachend aufs Bett. Und während aufkommende animalische Bewusstheit die Kanten der Trunkenheit abstumpfte, während ihre nackten Körper mit triumphierendem Leuchten aus der Dumpfheit des Alkohols auftauchten und der Geruch des Geschlechts sie mit seinem starken, durchdringenden Aroma umgab, während ihre Arme, Beine, Münder und Hüften eine eigene vorwärtsdrängende Macht gewannen, eigene Empfindung fast, getrieben wie von einem vorbestimmten Willen, so tief wie das Rassenbewusstsein, bis das, was sie taten, den Alkohol ersetzte, sie in die gleiche Hochstimmung versetzte wie vorher der Whisky – während dieses ganzen Vorganges fühlte sich Buddwing tief beteiligt und gleichzeitig auf eine seltsame Art weit weg. Was geschah, hatte etwas ungeheuer Bedrohliches an sich. Zwar berührte er Jesse in dem Durcheinander der Körper und Lippen nicht ein einziges Mal, doch blieb er sich ständig seiner Gegenwart bewußt, mehr freilich als einer Verkörperung von L.J. Beethoven und Rotweste als des Mannes, der er war: Jesse Salem, auf den daheim in San Antonio ein mexikanisches Mädchen wartete. In der überwältigenden Glut ihres heterosexuellen Tuns löste sich zwar die Furcht vor homosexueller Veranlagung; doch fühlte er sich auf eine unheimliche Art bedroht, als wäre das ganze hektische Treiben nur etwas Äußerliches, nur ein Schutzschild für etwas Tieferes in ihm, das er zu verlieren im Begriff war. Und er sah ein: nicht das, was sie taten, bedrohte ihn, sondern dieses Wissen um einen bevorstehenden Verlust. Er hatte das Gefühl, als wäre dieser wirre Akt, dieser schamlose, unmoralische und vielleicht ungesetzliche Akt der Endpunkt einer Phase seines Lebens, eines festumrissenen Lebensabschnitts, der ständig und unwiderruflich auf diesen konfusen Höhepunkt zugeführt hatte. Und gerade darin war die Struktur seiner Existenz bedroht – faktisch alles, was er bisher von sich selbst und von der Welt wußte. Er wußte: nichts würde noch so sein, wie es war, wenn er einmal diese Wohnung verließ, wenn er die Verbindung zu Jesse und den beiden Mädchen zerriss. In diesem Bett, in diesem Raum lag eine enorme Sicherheit, denn was sie taten, taten sie gemeinsam, straflos, anonym, in einer Art Kollektivbewußtsein. Außerhalb des Raumes, am Fuße der Treppe, überall draußen war das Unbekannte. Er blieb bei seinen Gefährten, preßte Tina an sich, preßte die Lippen auf Sallys Mund, fühlte Jesses beruhigende Nähe; er wollte sie nicht verlieren. Er hielt sich an sie, weil er in ihnen das Leben selbst hielt. Aber er konnte die Erkenntnis des nahen, des vielleicht allzunahen Endes nicht aus seinem Hirn verdrängen; Trauer lag in der Sicherheit, daß er von nun an, und vielleicht für immer, seinen Weg allein gehen mußte.
Um vier Uhr verließ er Jesse und die Mädchen.
Sie verabschiedeten sich voneinander, ohne das Gefühl, etwas zu verlieren. Wenn sie es vermieden, sich in die Augen zu sehen, so nicht, weil sie sich schuldbewusst fühlten, sondern nur, weil ihr Exzess irgendwie sinnlos schien.
Und er wußte genau, wohin er gehen würde.
10
Der Park vor der Universität von New York war eine Miniaturausgabe des größeren Parks, in dem er am Morgen erwacht war; er betrat ihn in dem angenehmen Gefühl, daß alles seine Richtigkeit hätte. Ihm war, als begänne sein Leben auf irgendeine Weise von neuem; und die Wiederholung hatte etwas Gerechtfertigtes an sich, als käme der Neubeginn nicht völlig unerwartet, als setze sich eher in ihm etwas fort, das es schon gab. Er fand eine
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