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Schock

Titel: Schock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hunter Evan
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der junge Mann, der sie begleitete. Er lächelte. Seine Position schien zugleich überlegen und vorteilhaft. Sie lief darauf hinaus, daß er, ungeachtet der Gegenwart des jungen Mannes, an Graces Seite sein, ihr aber auch zugleich folgen und sie beobachten konnte.
    Ihr Haar irritierte ihn ein wenig: Grace hatte ihr Haar immer sehr lang getragen, es fiel ihr über die Schultern, den Rücken hinab, und dieses Mädchen trug es kurz wie einen goldenen Helm, hinten gerade geschnitten. Auch war sie magerer, viel magerer, als er anfangs angenommen hatte; sie bewegte sich mit eckiger Lässigkeit in Pullover, Rock und hochhackigen Schuhen. Und doch erkannte er Grace in ihr; ihr Gang, ihre Art, den Kopf zu bewegen und die Hand sanft auf den Arm des jungen Mannes zu legen, wie um etwas zu betonen – alles das war ihm vertraut und in guter Erinnerung.
    Er folgte ihnen die Vierundvierzigste Straße hinab; dann blieb der junge Mann auf der Treppe eines Hauses zwischen der Eighth und Ninth Avenue – seiner Berechnung nach – stehen und unterhielt sich mit Grace. Zwei Portorikanerkinder warteten ungeduldig darauf, daß sie die Treppe räumten, um ihr Ballspiel wiederaufnehmen zu können. Buddwing begriff, warum sie nicht mit den anderen zusammen ein Taxi genommen hatten. Offenbar wohnte der junge Mann hier, nahe den Docks, und Grace war wohl nach Laufen zumute gewesen, sei es, daß sie noch Einkäufe vorhatte, sei es, daß sie es einfach genoß, in der Frühlingsluft zu Fuß zu gehen; ja, er erinnerte sich, Grace ging gern zu Fuß. Sie verabschiedeten sich mit einem Händedruck. Der junge Mann verschwand im Haus, und Grace ging ostwärts weiter, der Eighth Avenue zu – ja, es war die Eighth Avenue, die sie überquerte – und weiter dem Broadway zu. Um diese Zeit war der Theaterdistrikt seltsam still. Es mußte sechs Uhr sein oder wenig später; alles Leben schien sich in die Häuser zurückgezogen zu haben, um sich auf den Abend vorzubereiten. Das Mädchen ging schnell, aber er spürte, daß sie es noch immer nicht eilig hatte, irgendwo anzukommen – immer wieder blieb sie stehen, um die Fotografien vor einem Theater zu betrachten oder um ein Plakat zu lesen, wie sie es im Augenblick tat, das Gesicht im Profil, Stirn, Nase, Kinn, Hals eine schwungvolle fließende Linie, die einen Ausdruck heiterer Gelassenheit hatte. Sie wandte kurz den Kopf, als spürte sie seine forschenden Blicke; er wandte sich schnell ab und zündete sich unter dem Vordach eines Theaters eine Zigarette an, doch nicht ohne das tiefbraune Aufleuchten ihrer Augen wahrgenommen zu haben – ein bestätigendes Merkmal, das eine tiefe Freude in ihm aufquellen ließ. Er beschäftigte sich damit, das Streichholz auszuschütteln und die Zigaretten wieder in der Tasche zu verstauen, bis ein verstohlener Seitenblick ihm verriet, daß sie weiterging.
    Alle ihre Bewegungen schienen impulsiv und planlos. Sie ging an der ganzen Front des St.-James-Theaters vorbei und blieb dann vor einem der Schaukästen plötzlich stehen, als habe sie sich ganz abrupt, ohne zu überlegen, dazu entschlossen. Am Daumen nagend, studierte sie Theaterplakate und wandte sich – wie es schien, noch während des Lesens – wieder ab, um weiterzueilen, quer über die Straße, in die Shubert Alley hinein. Er folgte ihr durch die enge Passage. Er spürte die Stille der Straßen, ferne Stimmen klangen wie gedämpfte Orchestergruppen, dann hinter ihm das Aufheulen eines Lastwagenmotors vor der Auslieferung der Times, die hohl widerhallenden Rufe eines Zeitungsverkäufers, der auf dem Broadway seine Schlagzeilen ausrief, die heiteren Stimmen zweier Tänzer, die sich vor dem Shubert-Theater unterhielten; dann kamen sie auf die Fünfundvierzigste Straße, sie bog rechts ab, dem Broadway zu, und er begriff plötzlich: sie wußte, daß er ihr folgte.
    Was bisher normales Gehen gewesen war, verwandelte sich nun in ein fast verführerisches Stolzieren. Ihre Schritte bekamen einen bewussten Schwung; sie trug hochhackige Schuhe und setzte die Füße fest auf, sicher, daß jedes klickende Aufschlagen verlockend bis in ihre Hüften hinaufpulsierte. Wenn ihre Bewegungen bisher zufällig und zusammenhängend gewesen waren, so wurden sie jetzt überlegt und bewußt. Sie drehte den Kopf, um zu Schildern und Passanten hinüberzublicken, zeigte ihr Profil, rümpfte die Nase und setzte dabei absichtlich eine gleichgültige Miene auf, die Bände sprach. Sie ließ ihr kurzes Haar schwingen, lächelte einem

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