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Schock

Titel: Schock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hunter Evan
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kleinen Jungen mit einer Schuhputzkiste zu, blieb vor dem Fenster einer Tierhandlung am Broadway stehen und klopfte ans Glas, um die Welpen drinnen auf sich aufmerksam zu machen, schaute sich dann mit einem plötzlichen, unverhohlenen Heben der Augen nach Buddwing um – und wandte sich wieder ab, um die Jagd fortzusetzen.
    Er wußte, er würde sie bald ansprechen müssen.
    Über dem Broadway lag eine stumme Erregung; die Stadt wagte sich tastend aus den Türen, um den Samstagabend zu suchen. Sie wartete darauf, daß er sie anspräche, er wußte es jetzt; sie wartete mit einer Ungeduld, die sich mehr und mehr erschöpfte, an allem, was ringsum geschah, ungemein interessiert – Teenager vor dem Paramount-Theater, die Homos vom Times Square, die unverfroren in Erwartung der Dunkelheit, die sie bald einhüllen würde, die Nasen ins Freie streckten, ein Tenorsaxophon, das mit gesplitterter Zunge in einer der Bars How High the Moon intonierte, Frauen aus der Bronx in Nerzstolen, ihre Begleiter in Samstagabendblau, Restaurants betretend, Plakate studierend, die Verkäuferin, die nach Hause eilte, eine kleine weiße Tortenschachtel an der Schnur schwenkend, das Mädchen, das sich am Gehsteig über einen Zeitungsstand beugte und mit einer anmutigen Bewegung die New York Post vom Stapel nahm, langes schwarzes Haar, das ein Auge verdeckte, flache Schuhe, die Füße in einer unbewußten Ballettposition. Die Stadt schien sprungbereit wie eine gespannte Spiralfeder, und alles interessierte sie, interessierte sie ungeheuerlich, sie tastete es mit den Augen ab, schnupperte jedem Aroma nach, ihre Ohren fingen jedes Geräusch auf, und dennoch wußte er, daß sie auf ihn wartete, daß er sie schleunigst ansprechen mußte, wenn er sie nicht verlieren wollte. Sie blieb stehen, um auf die Verkehrsampel an der Dreiundvierzigsten Straße zu warten, und er holte tief Luft und trat zu ihr.
    »Hallo, Grace«, sagte er.
    Sie drehte sich um, als überraschte es sie, ihn zu entdecken.
    »Hallo, Seymour«, sagte sie.
    »Heiße ich so?« fragte er.
    »Heiße ich Grace?«
    »Ja.«
    »Dann heißen Sie Seymour.«
    Sie gingen miteinander weiter, so natürlich, als wäre ihr Zusammentreffen verabredet gewesen, als träte ein jeder nun – ohne besondere Absicht – in den Tageslauf des anderen ein.
    »Ich glaube nicht, daß Seymour der richtige Name für mich ist.«
    »Ich glaube auch nicht, daß Grace für mich paßt«, antwortete sie.
    »Der Name steht Ihnen aber ausgezeichnet.«
    »Nein, das finde ich nicht. Ich bin dafür zu klein. Ein Mädchen, das Grace heißt, sollte mindestens einssiebzig sein.«
    »Und Sie sind ungefähr einssechzig«, sagte er.
    »Stimmt.«
    »Dann sind Sie groß.«
    »Wie lange laufen Sie schon hinter mir her?« fragte sie.
    »Wann haben Sie gemerkt, daß ich hinter Ihnen herging?«
    »Ich habe zuerst gefragt.«
    »Ich sah Sie auf der Landungsbrücke.«
    »Und ich habe Sie entdeckt, als ich mir das Plakat vor dem St. James ansah.« Sie hielt inne. »Wie heißen Sie nun wirklich?«
    »Und Sie?«
    »Grace«, sagte sie und lächelte.
    »Okay, dann heiße ich Seymour.«
    »Ich bin aber nicht Grace. Warum nennen Sie mich so?«
    »Nun, so heißen Sie doch.«
    »Nein.«
    »Und wie dann?«
    »Ich weiß nicht recht, ob ich Ihnen das sagen soll.«
    »Okay. Möchten Sie eine Tasse Kaffee?«
    »Gern.«
    »Aber ich habe kein Geld«, sagte er.
    »Weshalb fragen Sie mich dann, ob ich Kaffee möchte?«
    »Nun, ich hielt es für möglich«, sagte er, hielt nachdenklich inne und fuhr dann fort: »Sie haben ein Muttermal an der linken Schulter, nicht wahr?«
    »Nein«, sagte sie. »Habe ich nicht.«
    »Doch, gewiß.«
    »Dann müssen Sie eine andere Grace im Sinn haben.«
    »Nein, ich habe Sie im Sinn.« Er streckte die Rechte aus. »Sie haben mir diesen Ring geschenkt.«
    »Tut mir leid, nein.« Sie musterte den Ring. »Ich würde nie einen Ring mit einem gesprungenen Stein verschenken.«
    »Und was für einen Ring hätten Sie mir geschenkt?«
    »Ich hätte Ihnen wahrscheinlich überhaupt keinen Ring geschenkt.«
    »Übrigens war der Stein noch nicht gesprungen, als Sie ihn mir gaben. Ich habe ihn gestern zerbrochen.«
    »Und wie?«
    »Ich habe ihn gegen die Wand geschlagen.«
    »Warum taten Sie das?«
    »Weil ich mich über Sie geärgert hatte.«
    Sie blieb mitten auf dem Gehsteig stehen und musterte ihn neugierig. Ihre braunen Augen zogen sich zusammen. »Sie glauben also wirklich, daß Sie mich kennen?« sagte sie.
    »Ja, das glaube

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