Schock
Beruf, ein A-und-R-Mann?«
»Keine Spur.«
»Aber was sind Sie dann?«
»Ich weiß es nicht.«
»Was wollen Sie damit sagen?«
»Ich weiß nichts über mich selbst.«
»Wie?«
»Ich weiß nicht, wer ich bin«, sagte er und zuckte fast heiter die Achseln.
»Wirklich?« sagte sie, blieb plötzlich an der Ecke stehen und musterte ihn mit einem Blick, der berufliches Interesse verriet – mit dem wissbegierigen, freundlichen, distanzierten und prüfenden Blick einer Sozialfürsorgerin.
»Sie sagen das im Ernst?« fragte sie.
»Ja.«
»Ich meine, daß Sie nicht wissen, wer Sie sind?«
»Ja, das stimmt.«
»Das ist kein Versuch, mich auf den Arm zu nehmen? Ich meine, das gehört nicht zu Ihren Tricks?«
»Nein, natürlich nicht.«
»So ist das.« Sie musterte ihn immer noch nachdenklich und nagte an der Lippe. »Wie lange – wann ist das passiert?« fragte sie.
»Heute früh. Als ich aufwachte.«
»Hm. Und Sie wissen also nicht, wer Sie sind?«
»Genau.«
»Aha.«
Er spürte, wie das berufliche Interesse in ihr alles verdrängte, was bisher an andersgeartetem Interesse dagewesen sein mochte. Diese unerwartete Entwicklung wies auch ihm eine neue Rolle zu – er war nun nicht mehr so sehr ein Mensch, als vielmehr ein Fall aus ihrer täglichen Patientensammlung. Doch die Rolle eines Patienten interessierte ihn wenig; er wollte er selbst sein. Und besonders bei Grace hatte er sich vorgestellt, daß sie ihn als ihn selber sehen würde und nicht als irgendeinen törichten Fall aus einer Fürsorgeakte. Er begriff sofort, daß es darum ging, sie von dieser Spur fortzulocken, die Unterhaltung zu ihrem eigentlichen Thema zurückzuführen: einem Mann und einer Frau an einer Straßenecke – also bitte, Miß Irgendwer, ein Mann ist ein Mann, und eine Frau ist eine Frau.
»Hören Sie«, sagte er, »wir brauchen uns jetzt nicht zu überlegen …«
»Haben Sie irgendeinen Ausweis bei sich?« fragte sie.
»Nein. Aber Sie brauchen sich keine Sorgen zu …«
»Geld haben Sie auch nicht, das sagten Sie schon.«
»Richtig. Wie ist es, könnten wir nicht …«
»Haben Sie überhaupt nichts, womit man …«
»Ich sehe nicht ein, was das …«
»… Sie identifizieren könnte …«
»Sagen Sie, können wir nicht von etwas anderem reden?«
»Ich will Ihnen doch nur helfen.«
»Ja, aber …«
»Ich möchte Ihnen helfen«, sagte sie sehr sanft.
»Ja …«
»Haben Sie überhaupt nichts bei sich, woran man …?«
»Ich habe ein Notizbuch mit einer Telefonnummer«, sagte er müde.
»Haben Sie versucht, die Nummer anzurufen?«
»Ja. Sie kennt mich nicht.«
»Wer kennt Sie nicht?«
»Eine Frau. Sie heißt Gloria Osborne.«
»Hätten Sie etwas dagegen, daß ich sie anrufe?«
»Nein, aber wozu? Ich war bei ihr. Sie kennt mich nicht.«
»Haben Sie sie erkannt?«
»Nein.«
»Wissen Sie, wo wir sind?«
»Natürlich. Wir sind auf dem Broadway.«
»In welcher Stadt?«
»Nun hören Sie, Grace! New York.«
»Weshalb glauben Sie, daß ich Grace bin?«
»Haben Sie mir gesagt, daß Sie anders heißen?«
»Ja, das habe ich.«
»Aber Sie haben mir nicht gesagt, wie Sie heißen. Ich meine, wenn Sie schon nicht Grace heißen.«
»Hm«, sagte sie. »Wohnen Sie hier in New York?«
»Ich denke doch.«
»Und erinnern Sie sich vielleicht auch, wo?«
»Nein.« Buddwing hielt inne. »Ich habe einen Fahrplan der New York Central in der Tasche, wenn sich daraus etwas schließen läßt.«
»Ach, darf ich ihn sehen?«
Buddwing zuckte die Achseln und reichte ihr den Plan.
»Lieber Gott, das sind eine Menge Stationen«, sagte sie leise in berufsmäßigem Ton. »Ist es möglich, daß Sie aus einer dieser Vorstädte kommen?«
»Nein, das glaube ich nicht. Ich denke, ich bin aus New York.«
»Hat vielleicht einer dieser Namen eine besondere Bedeutung für Sie? Erkennen Sie einen von ihnen wieder?«
»Ob ich einen wieder erkenne?«
»Nun, ich meine, im Sinne einer besonderen Bedeutung.«
»Ich weiß, wo sie liegen, wenn Sie das meinen. Ich weiß, daß es diese Vorstädte gibt.«
»Bronxville?«
»Ja, ich weiß, wo das ist.«
»Sagt es Ihnen etwas?«
»Nein.«
»White Plains?«
»Nein.«
»Valhalla?«
»Nein.«
»Chappaqua?«
»Nein.«
»Mount Kisco?«
»Keiner dieser Namen sagt mir etwas.«
»Und was ist mit Katonah?«
»Nichts.«
»Croton Falls?«
»Ich sagte doch schon …«
»Haben Sie eine Ahnung, weshalb Sie diesen Fahrplan in der Tasche haben?«
»Nein.«
»Haben Sie noch etwas in
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