Schock
den Taschen?«
»Ja, ein Füllhalteretui und zwei Theaterkarten.«
»Reguläre?«
»Wie?«
»Für ein reguläres Theater?«
»Nein, für ein Kino. Es sind Kinokarten.«
»Erinnern Sie sich noch an den Film?«
»Irgendwas mit Kim Novak.«
»Wann haben Sie ihn gesehen?«
»Gestern abend.«
»Schön, da haben wir endlich einen Anhaltspunkt, nicht wahr?« sagte sie und lächelte – ein derart besorgtes Fürsorgerinnenlächeln, daß er sie am liebsten auf den Mund geschlagen hätte.
»Haben wir?« fragte er.
»Nun, wir wissen jetzt, daß Sie gestern abend im Kino gewesen sind, und zwar offensichtlich nicht allein; schließlich sind es zwei Karten.«
»Das wußte ich schon, als ich heute früh aufwachte«, sagte er kühl.
»Wo war das?«
»Im Central Park.«
»Und Sie wußten gleich, wo Sie waren?«
»Ja.«
»Waren Sie überrascht? Ich meine, als Sie im Central Park erwachten?«
»Was ich war, weiß ich nicht mehr. Verwirrt vielleicht, weil ich nicht wußte, wer ich bin.«
»Nein, ich meinte …«
»Aufzuwachen und nicht zu wissen, wer man ist, ist nun einmal kein alltägliches Erlebnis«, sagte er sarkastisch.
»Ja, ich weiß«, sagte sie und lächelte mitfühlend. »Aber ich wollte auf etwas anderes hinaus: kam Ihnen die Umgebung irgendwie fremd vor?«
»Central Park?«
»Ja, Central Park.«
»Wie soll Central Park einem Menschen fremd vorkommen, der in New York zu Hause ist?«
»Ich meinte die unmittelbare Umgebung.«
»Fifth Avenue?«
»Ja, wenn es das war.«
»Genau das war es«, sagte Buddwing.
»Und kam es Ihnen fremd vor?«
»Nein, natürlich nicht. Wie zum Teufel soll einem die Fifth Avenue fremd vorkommen? Das ist doch eine ausgesprochen dumme Frage!«
»Tut mir leid, aber …«
»Hören Sie, ich habe mein ganzes Leben in New York verbracht; wie sollte mir die Fifth Avenue fremd vorkommen? Es ist nun einmal die Fifth Avenue, und was sonst?«
»Natürlich«, sagte Grace verständnisvoll.
Mit jedem Wort, das sie miteinander wechselten, schwoll sein Ärger. Ihr Berufsinteresse schien über sich selbst, über seine eigenen Grenzen hinausgewachsen zu sein, schien sich in eine treibende Kraft verwandelt zu haben. Verbissen bestand sie darauf, ihn zu einer Wahrheit zu drängen, die er nicht erkennen wollte. Hartnäckig leistete er Widerstand. Was ist nur mit dir los, dachte er, warum willst du mich nicht akzeptieren, wie ich bin? Müssen wir das denn alles aufreißen? Weißt du nicht, wie das schmerzt?
»Wie heiße ich mit Zunamen?« fragte sie plötzlich.
»Wie soll ich das wissen?« erwiderte er kühl.
»Nun, Sie scheinen mich für Grace zu halten.«
»Ich bin nicht mehr sicher«, sagte er scharf, in der Hoffnung, ihr weh zu tun.
»Aber wie heißt Grace mit Zunamen?«
»Ich habe nicht die geringste Ahnung«, sagte er.
»Könnte es sein, daß sie Ihren Zunamen trägt?«
»Ja, das halte ich für möglich.«
»Ist sie vielleicht Ihre Frau?«
»Vielleicht«, sagte er. »Möglich ist alles.«
»Schön, ist sie es?«
»Nein.«
»Wie können Sie das wissen?«
»Ganz sicher weiß ich es nicht.«
»Dann könnte sie es also sein, nicht wahr?«
»Ja, sie könnte es sein. Aber sie ist es nicht.«
»Wie alt ist sie? Können Sie sich daran erinnern?«
»Sie ist sechsunddreißig«, sagte er. »Aber sie sieht jünger aus.«
»Wann sind Sie ihr zuletzt begegnet?«
»Das weiß ich nicht.«
»Versuchen Sie sich zu erinnern.«
»Ich kann mich nicht erinnern.«
»Sagen Sie mir alles, was Ihnen einfällt.«
»Im Zusammenhang mit ihr fällt mir überhaupt nichts ein«, sagte er und hoffte, das Thema damit abgeschlossen zu haben.
»Schön, und was ist mit Ihren Eltern?«
»Meine Mutter hat keinen Mund«, sagte er und hob dann irritiert die Brauen.
»Wie?«
»Ich meine, sie hat sehr schmale Lippen«, sagte er schnell. »Wenn sie keinen Lippenstift benutzt, verschwindet ihr Mund.«
»Lebt sie noch, Ihre Mutter?«
»Ja. Halt, ich weiß nicht. Ich glaube aber. Vielleicht.«
»Und Ihr Vater?«
»Er hat eine Cafeteria«, sagte er, ohne sich zu besinnen. Verwirrung überfiel ihn. Sie verwirrte ihn, die Hexe.
»Wie heißt er?«
»Isadore Schwartz.« Verwirrung und Zorn. Warum mußte sie ihn in die Enge treiben?
»Nun sehen Sie«, sagte sie lächelnd. »Wenn er Schwartz heißt, müssen Sie doch eigentlich auch …«
»Nein«, sagte er knapp. »Ich habe meinen Namen geändert.«
»In was?«
»Buddwing.« Lass mich in Ruhe, dachte er.
»Nun, jedenfalls …«
»Aber das ist
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