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Schockgefroren

Schockgefroren

Titel: Schockgefroren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Buzmann
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unangenehmen Arbeitszeiten. Damit kann ich umgehen. Es ist das Entweder-oder-Prinzip, das ich nicht leiden kann.
    Entweder Sie machen das so. Oder es gibt Ärger.
    Ich hasse das Entweder-oder-Prinzip. Damit stehe ich auf Kriegsfuß.
    Sagt also ein Vorgesetzter zu mir, Herr Buzmann, Sie machen das, wie ich es will, da gibt es keine Alternative, packe ich meine Sachen und gehe.
    Wie auch beim letzten Mal. Vor Kaprun. Da arbeitete ich in einem Hotel in Weissach, in der Nähe von Stuttgart. Der Sportwagen, der früher als Poster mein Kinderzimmer zierte, wird hier konstruiert. In diesem Hotel gibt es anspruchsvolle Gäste. Eigentlich sind alle mit meiner Arbeit zufrieden. Eigentlich bin auch ich zufrieden. In Weissach kann man es aushalten. Es gibt schlimmere Orte. Es gibt wesentlich schlimmere Orte, zum Beispiel eingezäunte Grundstücke mit einem Wohnwagen in Mainz-Kastel. Auch mit der Bezahlung kann ich zufrieden sein. Und mit den Kollegen. Sogar mit den Vorgesetzten. Die Welt ist also in Ordnung. Nur einer sieht die Dinge etwas anders. Er sagt zu mir: »Herr Buzmann, entweder Sie machen es, wie ich es will, oder wir haben ein Treffen beim Chef.«
    Wir könnten gerne zum Chef gehen. Wahrscheinlich ist der Chef ohnehin der Ansicht, dass meine Methode besser ist. Aber wie er es sagt, bringt mich auf die Palme. Es ist das Entweder-oder-Prinzip. Das sitzt in mir wie ein Stachel im Fleisch.
    Also packe ich meine Sachen. Die Kollegen sind der Ansicht, dass ich aus einer Mücke einen Elefanten mache. Sie haben recht, die Kollegen. Ich kann verstehen, wenn sie sich wundern, weil der gut gelaunte, höfliche, zuvorkommende, aufmerksame und liebenswürdige Sascha Buzmann auf einmal so überempfindlich reagiert.
    Sie ahnen ja nichts.
    Nun bin ich in Kaprun. Hier kann man es ebenfalls aushalten. Ist kein schlimmer Ort. Und im Stausee Wasserfallboden gibt es keine Haie, ich habe jedenfalls keine gesichtet. Auch die Kollegen sind in Ordnung. Die Bezahlung ist besser als in Deutschland. Und noch kam kein Vorgesetzter und sagte: entweder – oder. Ich arbeite hart und denke kaum an die Vergangenheit. Ich denke an die Zukunft. Ich denke an mein Bistro, in Frankfurt, Wiesbaden oder sonst wo. Als der Artikel erscheint, schenke ich ihm kaum Beachtung. Natürlich gibt es das Magazin auch in Kaprun, und einige meiner Kollegen stoßen darauf. Direkt zu fragen trauen sie sich nicht, also tun sie es auf die umständliche Art: Könnte es sein, dass … Oder: Ich hab was gelesen, bin mir aber nicht sicher … Sag mal, ist das über dich?
    Ja, das ist über mich. Ja, das ist meine Vergangenheit. Doch jetzt lebe ich in der Gegenwart und freue mich auf die Zukunft. Also, lasst es gut sein, Leute. So würde ich gerne antworten. Aber so antworte ich nicht. Ich bin schließlich zuvorkommend und liebenswert, solange man mir nicht mit entweder – oder kommt. Und das tun die Kollegen nicht. Sie sind ehrlich betroffen. Sie halten mich für mutig, so offen damit umzugehen. Da erst bemerke ich: Ich habe völlig aus den Augen verloren, weshalb ich mein »Ja« zum Artikel gegeben habe. Weil die Welt gefährlich ist, weil viele Eltern nicht darauf vorbereitet sind, weil es immer welche gibt, die Kinder in fremde Autos locken oder auf andere Art in ihre Gewalt bringen wollen. Ich muss zugeben, ich habe nicht mehr daran gedacht, doch als jetzt einige Kollegen emotional reagieren, denke ich: Vielleicht bringt der Artikel ja doch was. Wenn nur eine Handvoll Eltern von nun an noch achtsamer auf ihre Kinder aufpasst, wenn von nun an nur ein paar Leute mehr genauer hinsehen, dann hat sich die ganze Mühe gelohnt. Und während ich darüber nachdenke, zwischen Tischen, die aufgedeckt werden müssen, und Geschirr und Gläsern, die abgeräumt sein möchten, zwischen einem »Herzlich willkommen in unserem Haus« und einem »Ich hoffe, Sie hatten einen angenehmen Abend, beehren Sie uns wieder«, komme ich zum Schluss, dass meine Entscheidung doch richtig gewesen ist: diesem Reporter den Teil meiner Geschichte anzuvertrauen, der mir damals zur Verfügung stand.
    Doch ich habe etwas vergessen: dass er von einer Kollegin sprach, die Filme dreht. Als ich eine Schicht beende und meine erste Feierabendzigarette rauche, klingelt das Handy, und diese Kollegin ist dran. Sie will tatsächlich einen Film drehen. Wieder stellt sich die Frage: Sage ich dazu »Ja« oder »Nein«? Es ist eine Entweder-oder-Frage, ob ich zulasse, das Verlies zu meinen Erinnerungen weiter

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