Schockgefroren
nicht passiert. Ich weiß nur, er hat sich ein Stück weit entwickelt, dass er nach außen hin immer ein bisschen hart ist.«
»Adam G.? Polizei! Öffnen Sie die Tür!«
Bumm, bumm, bumm.
Der Mann draußen meint es ernst. Er will rein. Adam G. weiß nicht, was er tun soll.
Er murmelt: »Der Zaun. Das Tor. Das ist doch zu!«
»Sie haben Licht brennen da drin! Machen Sie die Tür auf!«
So wie Adam G. mich anstarrt, müsste ich schnell die Lachmaske aufziehen. Nett sein, nett sein, nett sein! Sonst passiert was! Ich habe noch nie einen so wilden Blick bei Adam G. gesehen. Aber ich ziehe die Lachmaske nicht auf. Ich bin viel zu erschrocken. Und da ist noch etwas anderes. Etwas, das sich schon lange verkrochen hat. Da ist auf einmal Hoffnung.
»Sicher sind die drübergeklettert«, sage ich. Die Worte sind draußen, bevor ich mir die Hand über den Mund legen kann. Das ist nicht nett, das ist nicht höflich, das ist frech. Adam G. kann es nicht ausstehen, wenn ich frech bin. Er springt auf, und ich bin mit einem Satz im hintersten Winkel vom Bett. Aber er langt nicht nach mir. Er rennt zur Tür, er rennt zurück. Er rennt zum Fenster. Vor ein paar Tagen ist eines der Bretter weggefallen, seither kann man durch einen Spalt sehen. Während er sich bückt und durch die Scheibe starrt, denke ich: Vielleicht hat der Mann reingeschaut. Vielleicht hat er mich gesehen! Vielleicht erinnert er sich daran, dass ein kleiner Junge verschwunden ist. Auch wenn die Zeitungen nichts davon schreiben, auch wenn mich meine Eltern vergessen haben, was ich nicht mehr glaube. Adam G. lügt! Er lügt schon, wenn er bloß den Mund aufmacht! Zwar sagt er, er hasst Lügen, aber selbst lügt er ständig! Meine Eltern haben mich nicht vergessen, nein, nein, nein, sie denken jeden Tag, jede Stunde, jede Minute, jede Sekunde an mich! Mein Papa hat jedem Polizisten in Delkenheim gesagt, dass ich weg bin und wie ich aussehe und dass ich Sascha heiße, und das weiß der Polizist da draußen, und deshalb will er rein.
Er will rein und mich holen!
Diese Worte stürzen wie Wellen über mich, in meinem Kopf dreht sich alles. Er will mich holen.
Der Polizist will rein und dann nichts wie hinaus mit mir!
Adam G. läuft durch den Wohnwagen und wirft mit Sachen um sich. Als ob er etwas sucht. Als ob er was braucht. Unterm Müll kommt eine Ratte vor und flüchtet unters Bett. Ihr Anblick sorgt bei mir für klare Gedanken: Du musst dich wie ein großer Junge benehmen, Sascha. Du musst erwachsen sein!
Adam G. stürmt zur Tür. Hat er etwas in der Hand? Was hat er in der Hand? Er drückt sein Ohr an die Tür, sein Körper schiebt sich zur Seite.
Bumm, bumm, bumm.
Vor der Tür rührt sich ein zweite Stimme, dunkler als die erste: »Sie machen jetzt sofort die Tür auf!«
Und Adam G. duckt sich. Wie ein Tier vor dem Sprung.
»Ich komme mit, wenn Sie meine Eltern interviewen«, sage ich. Der Regisseur sieht mich an. Ich weiß nicht, ob es ihm recht ist, aber das ist mir egal. Meine Mama ist seit Langem nicht mehr so recht auf dem Damm, und mein Papa ist auch nicht jünger geworden. Ich schaue alle paar Tage nach ihnen und sehe nicht ein, dass ausgerechnet jetzt die Dinge anders sein sollen. Beim letzten Besuch fragte Papa, ob ich nächstes Mal Werkzeug mitbringen kann, um ein Bild aufzuhängen.
»Das könnte ich doch machen«, sage ich zum Regisseur. Ich habe gelernt, dass die Filmemacher immer was zum Drehen brauchen. Filme sind bewegte Bilder, und wenn sich nichts bewegt in einem Film, dann taugt er auch nichts. Das habe ich gelernt. Deshalb denken sich die Filmemacher ständig was aus, was ich tun könnte. Sollen sie mich doch filmen, wie ich mit Papa ein Bild aufhänge. Jedenfalls will ich dabei sein. Vielleicht auch nur, um zu hören, was Mama sagen wird. Wir haben zuhause so gut wie nie über meine Entführung gesprochen, aber wie ich Mama kenne, hat sie eine Meinung dazu. Meine Mama hat immer eine Meinung. Ich habe auch eine Meinung. Eigentlich interessiert uns die Meinung des anderen. Nur wenn es sich um meine Entführung dreht, werden wir seltsam schweigsam. Oder ich werde seltsam schweigsam, und dann sind es die anderen auch.
Doch jetzt ist ein Filmteam dabei. Man kann keinen Film drehen, wenn alle schweigen.
Der Regisseur bittet meine Eltern, es sich auf dem Sofa bequem zu machen. Ich reiße ein paar Späße, weil ich will, dass mein Papa kein so ernstes Gesicht macht. Weil ich will, dass Mama lacht. Es gefällt mir, wenn Mama lacht. Ich
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