Schockstarre
Führung fort. Er zeigte auf ein durch dünne Sperrholzwände abgetrenntes Quadrat. »Ich habe alles selbst eingebaut, Trennwände, Elektrik, Leitungen. Das Bad brauche ich. Wegen dem Fischgeruch.« Er lachte trocken, »Ohne geduscht zu haben, komme ich nicht nach Hause. Ich habe die Hütte von einem Anglerkollegen übernommen, der war Junggeselle. Der konnte stinken, wie er wollte, da gab es keinen Knatsch.«
»Das glaube ich.« Die Kälte strapazierte Katinkas Geduld. Das Sofa mit seinen Kissen, ordentlich zusammengelegten Decken und Schlafsäcken lächelte sie einladend an. »Und als Sie sich an dem Dreikönigstag mit Mendel trafen …«
»Mendel notierte sich noch ein paar Bemerkungen, die ich zum Buch hatte«, schoss es aus Lehmann heraus. »Er versprach mir, alles bis zum Wochenende einzuarbeiten. Er wollte sich gleich dransetzen. Das Buch trieb ihn irgendwie voran. Ich hatte den Eindruck, dass es für ihn selbst eine wichtige Geschichte war. Er erzählte mir, dass er selber mal darüber nachgedacht hatte, sich über den Wehrdienst hinaus zu verpflichten. Gott sei Dank hat er es nicht getan, das sage ich Ihnen, Frau Palfy. Die Afghanistan-Geschichte ist noch nicht ausgestanden. Da steht uns noch einiges bevor.«
Grrrrrummm , antwortete Katinkas Magen.
»Haben Sie Hunger?«, fragte Benno Lehmann, und der bedrückte, bittere Ausdruck auf seinem Gesicht machte einem schelmischen Lächeln Platz. »Mögen Sie Spaghetti?«
Während sie durch den tiefen Schnee zum Wagen zurückstapften, warf Katinka einen zweifelnden Blick auf die Fischteiche, verschneite, tiefliegende Vierecke in der Dunkelheit. Düster hingen die Zweige vereinzelter Sträucher über die weiß gepolsterten Uferböschungen. Vogelspuren waren am Grund der leergelaufenen Teiche zu sehen. Nicht lange, und es würde wieder schneien. Katinka leckte sich über die Lippen. Kleine, krümelige Fetzchen rollten sich zusammen und lösten sich von der Haut. Sie zwirbelte die Hautstückchen und zupfte sie ab. Trotz aller Behutsamkeit riss die empfindliche Haut darunter ein. Katinka schleckte das Blut weg. Die Lippe spannte. Schnell stieg sie in den eiskalten Pick-up und zog die Tür zu. Lehmann kam über den Pfad, eine Taschenlampe aus seiner Parkatasche ziehend, und leuchtete über die in der Dämmerung allmählich abtauchenden Teiche. Der vermisst seine Karpfen wirklich, dachte Katinka. Lehmann stieg ins Auto, ließ den Motor an und setzte den Wagen über die Schneehaufen zurück auf die Straße. Von der Seite musterte Katinka sein sympathisches, offenes Gesicht. Am Steuer wirkte er entspannt, sie wagte sich nicht vorzustellen, wie er in dem Bus in Kabul gesessen hatte. Zurück in Lehmanns Wohnung schlüpfte Katinka aus ihren tropfenden Stiefeln.
»Kommen Sie mit in die Küche«, sagte Benno Lehmann, während er sich aus seinem Parka schälte.«
Katinka sah ihm beim Kochen zu. Er setzte einen Topf mit Wasser auf, richtete seine Zutaten und warf schließlich die Spaghetti ins Wasser, bevor es kochte. Die Bolognesesoße rührte er aus einer Tüte an, aber er tat es mit Hingabe und einer beinahe lausbübischen Begeisterung.
»Ich habe heute auch noch nichts Richtiges gegessen. Mendel erschossen …«
»Haben Sie das Manuskript für Ihr Buch hier?«, wollte Katinka wissen.
»Eben nicht. Ich habe es Mendel wiedergegeben, mit den Anmerkungen.« Lehmann hantierte mit dem Quirl im Soßentopf. »Was meinen Sie«, er wandte sich Katin-ka zu. »Was wird nun aus dem Buch?«
Katinka biss sich auf die Lippen. Die aufgerissene Stelle tat weh.
»Sie haben doch einen Vertrag? Die Veröffentlichung ist ausgemachte Sache?«
»Ja!«, sagte Lehmann. »Klar! Ich habe alles hier. Mendel wollte sich mit diesen Dingen nicht befassen. Er sagte, es sei seine Aufgabe, das Buch zu schreiben. Verhandelt hat er mit dem Verlag, das muss ich sagen, und er hat denen die Eier gut gebraten auf den Teller gelegt. Aber als wir die Verträge unterschrieben hatten, legte er Wert darauf, dass ich alles aufbewahre.«
Die Bolognesesoße ploppte mit einem Knall aus dem Topf. Panisch pfefferte Lehmann den Deckel drauf und zog den Topf von der Herdplatte. Katinka hing ihren Gedanken nach, während der Oberstleutnant die Spaghetti abgoss, auf zwei Suppenteller verteilte und zum Küchentisch trug.
»Herr Lehmann«, fragte Katinka, »wem schadet Ihre Geschichte?«
»Niemandem.« Er lachte hilflos aus. »Allenfalls dem internationalen Terror und den Amerikanern.«
Katinka sagte nichts. Die CIA
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