Schockstarre
kein Zweifel. Die Nummern, die er gespeichert hat, passen wie Arsch auf Eimer, dachte Katinka. Alissa Herbst war in die Anrufergruppe Familie einsortiert, wie auch seine Kinder, jedes mit einer eigenen Nummer. Dann waren alle Kollegen aus der Agentur mit ihren vollständigen Adressen eingetragen. Hartmann, Thurid, der Chef selbst, außerdem eine Irmela Fenering, vermutlich dessen Exfrau. Eigenartig, überlegte Katinka, die hat er auch unter Familie einsortiert. Außerdem benutzte Mendel sein Mobiltelefon als Terminplaner. Katinka tippte ein wenig im Menü herum. Da waren reichlich Termine eingetragen, die würde sie prüfen müssen. Und wäre die kommende Woche rund um die Uhr beschäftigt. Das ist kein Fall für einen allein.
Die Polizei hat sicher längst Mendels Handynummer über die Telefongesellschaft checken lassen, dachte Katinka, und rausgekriegt, mit wem Mendel vor seinem Tod als letztes telefoniert hat. Mit Thurid Maas. Und die hat Mendels Handy aus dem Verkehr gezogen, allerdings reichlich stümperhaft.
Katinka legte das Telefon auf den Tisch und betrachtete gedankenversunken den Klavierspieler, einen jungen Typen mit Kapitänsmütze auf dem Blondhaar. Auf seinen marineblauen Troyer war ein goldener Anker aufgestickt. Ein Meeresliebhaber, dachte Katinka, oder einer der davon träumt, dass es irgendwo ein besseres Leben gibt als gerade dieses. Sie löffelte Milchschaum und dachte daran, wieviele Male Hauptkommissar Uttenreuther ihr bei ihren ersten zwangsweise gemeinsam bearbeiteten Fällen eine Abreibung erteilt hatte, weil sie dazu neigte, bestimmte Informationen nicht an die Polizei weiterzugeben, allein mit der Absicht, die Nuss selber zu knacken. Sie hatte ein Problem damit, als Smutje die Kartoffeln zu schälen und die Gourmetchefs die Lobpreisungen einheimsen zu lassen. Ausgerechnet jetzt hätte sie sich gerne mit Hardo beraten. Wenn sie mit ihm redete, sortierte sie ihre eigenen Gedanken und gab ihnen Struktur. Ich sollte ihn wirklich anrufen, dachte Katinka, und unsere Meinungsverschiedenheit aus dem Weg räumen.
… a kiss to build a dream on …
Sie zahlte. Eilig schob sie ihre Unterlagen zusammen und stopfte sie in den Rucksack. Sie wollte schneller sein, besser und schneller als Schilling in seinen schicken Klamotten. Es war wie das unvernünftige Bedürfnis nach einer Zigarette, schon lange nachdem man mit dem Rauchen aufgehört hatte. Hardos Worte kamen ihr in den Sinn, während sie zum Parkplatz lief. Wolf Schilling ist nicht Ihr Typ. Sie vermisste Hardo. Verdammt, sie vermisste ihn, doch während sie durch den Schnee zu ihrem Auto stapfte, redete sie sich die Hoffnungen von Zusammenarbeit und Kollegialität aus. Selbst wenn Hardo nun hier wäre und der zuständige Ermittler für diesen Fall, er würde sie doch nur an der kurzen Leine halten und seine Energie darauf verwenden, sie aus den Recherchen rauszuhalten. So lief es immer. Zwar respektierte er Katinkas Fähigkeiten mittlerweile, er schluckte ihre unkonventionellen Arbeitsmethoden, aber im Grunde seines Herzens gab er einen durch und durch loyalen Beamten ab. Einen, der an zehn inneren Schweinehunden vorbei musste, um neue Wege auszuprobieren. Ich habe nur Sehnsucht danach, mit jemandem zu reden, rechtfertigte sie sich. Mich zu beraten, die Dinge von der anderen Seite zu sehen. Nicht einmal ihre Freundin Britta konnte sie momentan ins Vertrauen ziehen. Die schleppte sich gerade durch eine Fortbildung für Journalisten an der Medienakademie Kulmbach und war nicht zu erreichen.
Mit klammen Fingern fegte Katinka die Scheiben ihres Autos frei. Während sie den Motor startete, stand ihre Atemluft wie der Rauchkegel eines Vulkans vor ihrem Gesicht. Fröstelnd verließ sie den Parkplatz und tastete sich vorsichtig in den Verkehr auf den rutschigen Straßen.
»Und Sie sind nicht von der Polizei?« Benno Lehmann führte Katinka in sein Wohnzimmer. »Setzen Sie sich doch. Dorit, meine Frau ist mit unserer Tochter beim Skifahren. Gerade fünf Jahre ist die Kleine alt und würde schon am liebsten die schwarzen Pisten runterfegen!« Er lächelte und wies auf ein Foto. Seine Frau und seine Tochter, beide pummelig und einander wie aus dem Gesicht geschnitten, lächelten mit strahlenden Augen in die Kamera. »Möchten Sie was Heißes trinken?«
»Das wäre nett«, sagte Katinka.
»Ausgerechnet Frank Mendel«, kam es aus der Küche. »Ausgerechnet! Denken Sie nicht, ich jammere nur wegen des Buches. Ich mochte ihn wirklich gern. Er war ein
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