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Schockstarre

Schockstarre

Titel: Schockstarre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F Schmöe
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bummeln oder gleich zu ihrem Auto zurückgehen sollte, fiel ihr eine junge Frau mit zwei großen Einkaufstüten auf. Jeansrock, ein knapper Anorak mit Kunstpelzbesatz drüber, Stiefel, rotes Haar, das unter einer Wollkappe hervorlugte.
    »Hallo, Frau Maas!«
    Thurid fuhr herum. Dabei riss der Henkel einer der Tüten. Joghurtbecher, Schokoriegel, eine Rolle Coburger Butterkäse und allerlei Kleinkram rollten auf den nassen Asphalt.
    »Entschuldigung«, rief Katinka und half beim Einsammeln.
    »Nicht … nicht so schlimm«, gab Thurid zurück. Sie sah erschrocken aus, als habe sie auf ein neuerliches brutales Zuschlagen des Schicksals gewartet.
    »Tut mir wirklich leid«, sagte Katinka. »Ich wollte Sie nicht erschrecken.«
    »Schon in Ordnung.«
    Katinka wischte den letzten Schokoriegel an ihrem Mantel trocken und reichte ihn Thurid.
    »Ich lade Sie zu einem Kaffee ein«, sagte sie. »Als Entschädigung. Gibt’s hier in der Nähe ein schönes Plätzchen?«
    »Ach, wissen Sie …« Thurid schien zu überlegen. »Ich wohne nicht weit von hier. Ein paar Schritte über den Markt.«
    »O.k.«
    Thurid führte sie über den Marktplatz. An der Hof-apotheke bogen sie in eine schmale Gasse. Katinka erinnerte sich an eine Geschichte, die alle Städte mit alten Burgen, die auf sich halten, erzählen: Es sollte einen Geheimgang geben, von der Veste bis in die Stadt, der direkt hier in der Hofapotheke am Markt endete. Der Stoff, aus dem Legenden sind, dachte Katinka. Thurid war weit voraus, und sie musste machen, dass sie hinterherkam. Sie folgte Thurid durch ein winziges Gässchen mit überhängenden Fassaden und ertappte sich dabei, wie sie den Arm ausstreckte, um sich die Häuser vom Leib zu halten.
    »Gefällt Ihnen Coburg?«
    »Ja.« Katinka war nicht in Stimmung, Konversation zu machen. Ihre Gedanken wirbelten gerade eine Menge Unrat auf, zuviel, um sich auf höfliche Plaudereien zu konzentrieren. Sie erreichten einen kleinen Kirchhof, kopfsteingepflastert, eng, alt. Wieder eine Puppentheaterkulisse.
    »Hier, die Morizkirche«, sagte Thurid, zückte einen Schlüssel und führte Katinka zu einem roten Häuschen im Schatten des mächtigen Gotteshauses. Pfarrgasse, las Katinka.
    »Moriz … das ist Coburgs Stadtpatron, oder?«, fragte sie, während sie dem grellroten Hydranten neben Thurids Haustür eine Grimasse schnitt.
    »Ja. Eigentlich hieß er Mauritius. Ein Legionär im Dienste der Römer, ein Märtyrer. Soweit ich weiß, weigerte er sich, die römischen Stadtgötter zu verehren. Im 3. Jahrhundert. Schon ganz lange her. Er wird als Mohr dargestellt.«
    Katinka nickte: »Sein Kopf ziert sogar die Kanaldeckel, habe ich gesehen.«
    »Finden Sie das … unpassend?«, fragte Thurid ernsthaft.
    Katinka grinste und ließ den Blick in die Höhe schweifen.
    »Nein. Wer ist der Kleine, Dicke dort an dem Gebäude?«
    Thurid steckte den Schlüssel ins Schloss.
    »Herzog Johann Casimir. Er hat das Gymnasium gegründet und sich ansonsten einen Namen als Hexenverfolger gemacht.«
    »Ach du Schande.« Katinka stieg hinter Thurid eine enge Treppe in den ersten Stock hoch. »Haben Sie diese Schule besucht?«
    »Sprechen wir lieber nicht darüber«, seufzte Thurid, offenbar halb im Scherz, halb im Ernst. »Kommen Sie rein.«
    In Thurids Wohnung herrschte afrikanische Hitze. Als Katinka das winzige Wohnzimmer betrat, kam es ihr vor, als prallte sie gegen eine heiße Mauer. Sie schälte sich aus ihrem Mantel. Thurid warf ihren Anorak achtlos auf einen Stuhl. Ihr Gesichtsausdruck sah ratlos aus.
    »Tja, was … trinken Sie?«
    »Was Warmes«, sagte Katinka, obwohl ihr die Zunge schon am Gaumen klebte. Sie sah sich um. An den Wänden hingen wenige gerahmte Bilder, alles Plakate mit dem Logo der Agentur Fenering. An der Decke pendelten zwei Mobiles aus Wollfiguren: Schafe, Hunde, Pferde. Kindlich, irgendwie.
    »Ich hatte Angst, heimzugehen«, seufzte Thurid, während sie in die Küche ging und einen Wasserkessel auf den Herd stellte. Katinka kam ihr nach. Auch die Küche war mikroskopisch klein. »Ich …« Sie brach ab und Tränen kullerten ihr aus den Augen. Schnell rieb sie sie weg, mit einer ärgerlichen Bewegung, als wolle sie den Tränen mitteilen, dass sie ungelegen kämen. Verletzlich, dachte Katinka. Sie ist so verletzlich.
    Katinka fiel ein schmaler Ring an Thurids linkem Ringfinger auf, den ein auffallender, dunkler Stein zierte.
    »Schöner Ring«, sagte sie.
    »Ja, nicht?« Thurid betrachtete das Schmuckstück zufrieden. »Ist ganz

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