Schockstarre
Kühlschrank, den ich ihr präsentieren könnte.
»Keine Ahnung. Kann sein. Oder auch nicht.« Susanna Heinze zog sich in ihren sedierten Zustand zurück.
»Danke, Frau Heinze, für Ihren Rückruf.«
»Schon recht. Tschüss dann.«
Katinka beobachtete, wie ein Wagen langsam vorbeifuhr und zum Flugplatz abbog. Die Rücklichter tauchten in die Dunkelheit. Sie blieb noch eine Weile auf der Höhe stehen. Sie zählte die Lichter auf den Hügeln, die Türme der Veste und schickte ihre Gedanken in die Geschichte zurück. Wer immer sich dieser Burg mit der Absicht genähert hatte, sie einzunehmen, musste gespürt haben, dass sein Ansinnen nicht von Erfolg gekrönt sein konnte. Sie war zu mächtig. Das Wort Trutzburg fiel Katinka ein, und ein Kirchenlied: Ein’ feste Burg ist unser Gott . Diese Festung war ein Fels der Uneinnehmbarkeit in einem Krieg aus dem Mittelalter, in dem mit Kanonen und Armbrüsten gekämpft wurde. Wenn Katinka die Augen schloss, hörte sie in ihrer Fantasie Kanonenkugeln gegen Mauern donnern, sie sah die Burgfrauen beim Schein blakender Flammen zusammengekauert in ihren Kemenaten sitzen, sah einen Verschwörer über den Burghof schleichen, sich wachsam umsehen, bevor er sich dem Burgbrunnen näherte und Gift aus einem Beutel hineinrieseln ließ. Lauschte den energischen Schritten des Burgherrn, der zum Tor unterwegs war, um seine Kapitulation bekannt zu geben. Was für ein ganz anderes Leben, dachte Katinka. Nehmen wir an, die Agenturmitarbeiter sind Burgbewohner des Mittelalters. Nehmen wir an … ihre Gedanken verloren sich in der Nacht, sie beobachtete die Atemwolken vor ihrem Gesicht. Ich muss mehr über die Verhältnisse der Agenturkollegen zueinander rauskriegen, sagte sie sich. Beispielsweise über diesen Gruschka, der angeblich rausgemobbt wurde.
Allmählich spürte sie ihre Füße nicht mehr. Von dem kleinen Flugplatz tönte Motorengeräusch herüber. Katinka riss sich los, stieg ins Auto und drehte den Zündschlüssel. Behutsam und konzentriert ließ sie den Wagen den Berg hinunterrollen, ein Scheinwerferpaar stahl sich in ihren Rückspiegel. Der Wagen für schnell, blendete auf, überholte und sauste um die Kurve beim Hotel.
»Idiot«, knurrte Katinka. Sie hielt auf dem Hotelparkplatz und schnappte sich ihre Tüten. Unprofessionell, dachte sie, so mit Plastiktüten in ein Hotel reinzugehen.
Mirko Büchner freute sich wie ein Schneekönig.
»Schön, dass Sie noch ein bisschen bleiben«, sagte er. »Ich reserviere Ihnen den gleichen Tisch wie gestern, ist das recht?«
»Ja. Danke.«
Katinka nahm ihm den Zimmerschlüssel aus der Hand. Hartmann wusste nichts von dem Handy. Ka-tinka nahm die Stufen in den zweiten Stock im Laufschritt. Zehntausend und den Speicherstift, ansonsten Polizei . Er hatte nichts von dem Telefon gesagt. Also wusste er nichts davon, oder er brauchte es nicht. Er wollte nicht an Mendels Nummern, Adressen und Termine. Er hatte es auf die Daten zum Ghostwriting-Projekt abgesehen.
»Aber warum«, sagte Katinka zu der Zimmertür. Sie drehte den Schlüssel, drückte die Tür auf und ließ mit einem Seufzer ihre Einkaufstüten fallen. Mit dem Ellenbogen schaltete sie das Licht an. Das Zimmer sah genauso aus wie gestern, als sie es zum ersten Mal bezogen hatte. Das ist das Angenehme und gleichzeitig Gruselige an Hotels, überlegte Katinka. Man hatte ihr eine Praline aufs Kopfkissen gelegt. Im Zimmer war es kühl. Katinka drehte das Heizungsthermostat hoch, sortierte ihre Einkäufe. Stellte Shampoo, Zahnputzzeug, Haarbürste ins Bad.
Hartmann weiß nicht, dass ich Mendels Handy entdeckt habe. Thurid kann nicht zugeben, dass sie es vermisst. Ich kenne Mendels Termine. Ich habe die Adressen. Ich kann loslegen.
Sie betrachtete ihr Gesicht im Spiegel über dem Waschbecken. Erstaunt stellte sie fest, dass sie frisch aussah, beinahe ausgeruht. Vielleicht war das hier wie Urlaub. Sie sollte expandieren. Möglicherweise konnte sie auch im Ausland ermitteln. Venedig, Budapest, Paris, Odessa. All die Städte, von denen sie träumte. Katinka fischte den Lippenstift aus der Kaufhaustüte. Bedächtig trug sie helles Rostbraun auf ihre Lippen auf. Sie biss auf ein Stück Klopapier. Zu spät entdeckte sie die Kleenexschachtel auf dem Bord neben dem Spiegel.
Sie nahm Stift und Notizbuch mit und machte sich auf den Weg ins Restaurant. Nach Sauerbraten mit Blaukraut und Coburger Klößen bestellte sie sich einen Espresso. Sie kopierte zuerst Mendels Adressbuch, dann seine Termine vom
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