Schockstarre
drei Kindern und dem Haus.«
»Und Sie?«
»Wie … ich?« Thurid sah Katinka verdattert an.
»Haben Sie nicht Lust, Ihr berufliches Glück woanders herauszufordern?«
Thurid fuhr sich durchs Haar.
»Ich habe mich in Hamburg beworben. Hat mir Frank … Frank Mendel empfohlen, in einer weltweit arbeitenden Werbeagentur.«
»Und? Haben Sie den Job gekriegt?«
Thurid blickte zu ihren wolligen Mobiles hinauf.
»Ich habe noch nichts gehört«, sagte sie.
Katinka schwieg, obwohl sie das Bedürfnis verspürte, etwas Ermunterndes zu sagen.
»Könnte es denn nicht sein, dass Sie nun Mendels Position bekommen?«
Sie hatte danach gefragt, aber mit anderen Worten, und deshalb hoffte sie, Thurid doch noch aus der Reserve zu locken.
»Wie ich schon sagte«, erklärte Thurid und löste ihren Blick von den Tierkindern, »ich bin eigentlich keine Texterin. Da muss jemand mit mehr Erfahrung ran.«
»Haben Sie Zugang zu Mendels Daten?«
Thurid verschränkte ihre Hände ineinander. Weiß traten die Knöchel hervor.
»Nein.«
»Hat er Ihnen nicht vertraut?«
Thurid sah Katinka unglücklich an.
»Er hatte keinen Anlass, mir nicht zu vertrauen. Den hatte er wirklich nicht.«
Sie brach erneut in Tränen aus.
Als Katinka zu ihrem Wagen zurückkam, klemmte ein Strafzettel unter ihrem Scheibenwischer. Ungeduldig fetzte sie ihn weg. Er war an dem nassen Gummi angefroren und riss entzwei. Unbesehen warf Katinka die Reste in den Rinnstein und trat sie tief in den Matsch.
Im Auto herrschten Tiefkühlschranktemperaturen. Katinka ließ den Motor an und drehte die Heizung voll auf, kurbelte aus der Parklücke und fuhr Richtung Hofgarten. Am Berg war es glatt, mit zusammengebissenen Lippen kämpfte sie sich bis zum Festungshof , ließ das Hotel aber links liegen und steuerte den Berg weiter hinauf. Die Straße glitzerte im Scheinwerferlicht, Eis blitzte wie Tausende funkelnder Strasssteinchen. Oben auf der Höhe wiesen Schilder zum Flugplatz, zur Fliegerklause und zum Aero-Club. Katinka hielt und stieg aus. Die grauen Wolken der letzten Tage waren abgezogen, das ganze Firmament spannte sich sternenübersät über die Welt. Eiseskälte aus dem Weltraum rollte in unendlichen Wellen teilnahmslos über Land und Menschen hinweg. Still blieb Katinka stehen und ließ ihren Blick über die Hügel schweifen, ihren mit der Nacht verschmelzenden Umrissen nachsinnend, von Lichtpunkt zu Lichtpunkt wandernd. Sie hatte diese Vision, dass eines Tages der Globus einfach im Januar stehen bleiben könnte und es immer Winter und kalt bliebe. Oft spielte sie in Gedanken durch, wie sie sich helfen würde. Nach Australien auswandern, das im ewigen Sommer gelandet wäre. Natürlich war ihr klar, dass die Erde niemals einfach anhalten würde, und wenn, wäre sie ohnehin all ihre Sorgen los. Es war nur ein Gedankenspiel, fein säuberlich getrennt von den Problemen ihres wirklichen Lebens. Sie dachte an die Nacht, die aus ihrem Gedächtnis gefallen war, erschauerte beim Gedanken an die Schleusenmauer, an das gurgelnde Wasser neben ihr.
Ihr Handy klingelte. Es lag auf dem Beifahrersitz, aber sie hörte den Nokia-Ton überdeutlich.
»Palfy?«
»Susanna Heinze. Sie haben bei mir angerufen.«
Ihre Stimme schwappte träge durch die Leitung.
Katinka brauchte einige Sekunden, um sich in Erinnerung zu rufen, dass sie auf Susanna Heinzes Anrufbeantworter eine Nachricht hinterlassen hatte, und dass Susanna zu den Pärchen gehörte, die sie im Rio Club in Bamberg gesehen haben mussten.
»Frau Heinze, gut dass Sie zurückrufen. Es geht um den Rio-Club . Am Samstag, da kamen Sie doch mit drei anderen in den Gastraum, um Geld zu wechseln, oder?«
Es dauerte eine Weile, bis Susanna Heinze sich zu einem »ja« durchrang, das a taumelte wie betrunken durch die Leitung.
»Können Sie sich erinnern, an einem der Tische, gleich bei der Theke, eine Frau und einen Mann gesehen zu haben?«
Katinka beschrieb sich selbst und kam sich wie ein Clown dabei vor. Susanna Heinze reagierte nicht.
»Dann war ein Mann dabei, Brille, Farmerhut …«, fuhr Katinka fort.
»O.k., klar!« Susanna Heinze wachte auf. »Klar. Ein Typ. So einen blöden Bart hatte der. Wie ein Tier, das gekämpft hat, gegen einen Rivalen, und dem der Pelz aufgerissen wurde.«
Ziemlich durchgedrehter Vergleich, dachte Katinka.
»Kannten Sie den Mann.«
»Nee. Wieso?«
»Würden Sie ihn wiedererkennen?«
Es ist sinnlos, dass ich das frage, dachte Katinka. Ich habe keinen Henryk Pawlowicz im
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