Schockstarre
gut geworden.«
»Haben Sie den in Auftrag gegeben?«
»Von wegen!« Sie wagte ein Lächeln. »Ich habe ihn selber geschmiedet.«
Katinka sah sie verdutzt an.
»Ab und zu muss man mal was anderes machen«, sagte Thurid und suchte Kaffeepulver aus dem Küchenschrank. »Immer nur Werbung …«
»Aber es ist ein Job, den Sie mögen, oder?«
Thurid zuckte die Schultern.
»Schon. Ja.«
Da fehlte die schlagende Überzeugung, doch Katinka fragte sich ehrlicherweise, wie sie selbst auf diese Frage reagieren würde. Sie liebte ihre Arbeit, aber sie litt auch bisweilen unter ihrem Terror.
»Irgendwie hat Werbung immer damit zu tun, Leute zum Narren zu halten«, sagte Thurid. »Ich wollte was Ehrliches machen, was Echtes. Außerdem hatte ich Lust, mal mit meinen Händen zu arbeiten, ohne PC zwischen mir und der Wirklichkeit. Ich habe einen Goldschmiedekurs an der VHS besucht. Das hier ist ein Turmalin.« Sie zeigte auf den Stein. »Der Ring selbst ist aus Edelstahl.«
»Wäre die Schmiedekunst nicht ein gute berufliche Alternative?«, fragte Katinka, nur um etwas zu sagen und Thurid von ihrem Schmerz abzulenken.
Thurid betrachtete nachdenklich den Ring an ihrem Finger, als erwöge sie Katinkas Frage in allen Einzelheiten. Schließlich sagte sie:
»Es ist manchmal so ein Gedanke. Aber leben Sie mal vom Goldschmieden.«
Katinka sah ihr zu, wie sie Kaffee aufbrühte.
»Wie haben Sie Frank Mendel kennen gelernt?«
»Er gab Layouting-Kurse an der Fachhochschule. Einer der wenigen Dozenten, die aus der Praxis kommen. Alles, was er sagte, hatte Hand und Fuß.« Sie verschraubte die Kaffeekanne. »Man merkte ihm seine Kompetenz an. Mit uns Studenten ging er ziemlich streng um. Er sagte, Leute, wenn Ihr euch auf Layout spezialisieren wollt, müsst ihr ein bisschen mehr über Sprache wissen. Denn ihr layoutet vor allem Texte. Er verlangte richtig viel von uns, fast wie im Deutsch-Leistungskurs damals in der Schule.« Sie lachte auf. »Manche mochten das nicht und beschwerten sich. Aber wir lernten eine Menge bei ihm.« Sie drehte sich um und ging mit der Kaffeekanne in der einen und Milch in der anderen Hand vor Katinka her ins Wohnzimmer. »Als ich mir einen Praktikumsplatz suchen musste, bat ich Mendel um Rat. Bei Fenering war zu der Zeit nichts frei, aber Frank Mendel schrieb mir ein Gutachten, mit dem ich mich in München in einer renommierten Agentur bewarb – und genommen wurde. Brauchen Sie Zucker?«
»Nein. Danke«, sagte Katinka.
»Das Praktikum war anstrengend«, fuhr Thurid nach einer Pause fort und massierte mit Daumen und Zeigefinger ihre Augenbrauen. »Damals habe ich gezweifelt, ob der Job überhaupt was für mich ist. Immer der schöne Schein, den man hochhält und noch goldener und glänzender machen muss, von Berufs wegen. Und die ganze Selbstinszenierung der Kollegen … Ich war froh, als ich das Praktikum überstanden hatte.« Sie blies in ihre Tasse. »Natürlich habe ich das Studium trotzdem zu Ende gebracht. Ich war ja schon so nah an den Prüfungen. Und als ich abgeschlossen hatte, gab mir Mendel den Tipp, mich bei Fenering zu bewerben, weil gerade jemand gekündigt hatte.«
Katinka rührte Milch in ihren Kaffee. Sie grübelte darüber nach, warum Mendel sich für Thurid eingesetzt hatte. Mochte sein, dass sie wirklich gut war als Layouterin. Mochte sein, dass er väterliche Gefühle für sie hegte. Sie war der Typ dafür: schüchtern, zierlich, unsicher. Allerdings war sie auch hübsch, sodass Katinka die väterlichen Gefühle zurückstellte und andere Emotionen erwog. Sehr weit kann es mit dem Feminismus nicht gekommen sein, dachte sie selbstkritisch, wenn Frauen schon anderen Frauen unterstellen, sich hochgeschlafen zu haben. Sie betrachtete Thurids Miene. Ein trauriges, sorgenvolles Gesicht mit ersten Fältchen um die Augen.
»Wie lange hat Frank Mendel eigentlich bei Fenering gearbeitet?«
»Ach, ewig«, winkte Thurid ab.
»Er war doch ein guter Texter?«
»Der beste in der Agentur.«
»Hatte er nicht auch mal das Bedürfnis, anderswo hinzugehen, Karriere zu machen?«
»In Coburg gibt es keine bessere Agentur als Fenering.«
»Die Welt ist groß«, sagte Katinka, obwohl gerade das in Thurids Wohnung unwahrscheinlich wirkte.
»Er hat sich wohl einige Male wegbeworben, aber dann blieb er doch immer bei Fenering«, sagte Thurid und tastete über ihre Nase. »Er sagte nicht viel dazu, aber wenn ich mich nach seinen Plänen erkundigte, antwortete er immer, er könne gar nicht weg mit den
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