Schockstarre
Zuverlässigkeit. Hardo. Katinka betrachtete ihr undeutliches Spiegelbild im Fenster. Einer, den sie von Anfang an in all seiner Ruppigkeit sympathisch fand. Dessen Appetit auf Bier und fränkische Hausmannskost sie entwaffnet hatte, der ihren unkonventionellen Ermittlungsmethoden als bayerischer Beamter misstraute und als erfahrener Polizist vertraute, der sich für sie einsetzte und ihr Selbstwertgefühl hob, indem er zuließ, dass sich ihre Kenntnisse und Vorgehensweise an der Wirklichkeit erprobten. Was für eine Idiotie, dieser Streit, dachte Katinka seufzend und erwog, ihn anzurufen. Angelte nach dem Handy, ließ es aber sinken und sah unentschlossen in die Winternacht hinaus.
Ein Mann ging draußen vorbei, eingemummelt gegen die Kälte. Ein Hund lief ihm nach.
12. Von Häusern und Frauen
Mittwoch, 12. 1. 2005, 8:01 Uhr
Katinka verfluchte die Sommerreifen. Die Brücke war spiegelglatt, trotz kleiner Maulwurfshügel von Streusalz auf der Fahrbahn. Letztendlich fluchte sie über ihre eigene Faulheit. Winterreifen aufziehen zu lassen, wäre die einfachste Sache der Welt gewesen.
Ölberg, dachte Katinka. Eine solide Adresse. Sie quetschte sich in eine Parklücke, hoffte, dass der Käfer nicht zurückrutschen würde, und stieg aus.
Die Gegend lag ruhig, das durchdringendste Geräusch kam von einer Armee Schneeschaufeln, die über Wege und Gehsteige schrappten. Hier räumten die Anwohner vorschriftsmäßig Schnee.
Katinka öffnete das Gartentor. Das Haus der Hartmanns lag am Hang, von der Straße zurückgesetzt, und blickte düster in den frühmorgendlichen grauen Winterdunst. Der Fußweg zum Haus war vom Schnee befreit worden, kleine Splittsteinchen sollten gegen die Glätte helfen. Katinka kletterte über steile Treppenstufen, bis der Weg eine scharfe Biegung zur Haustür machte.
»He!«, rief jemand. Katinka drehte sich um.
Ein Mann mit Pudelmütze auf dem Kopf und einer Schneeschippe im Arm winkte vom Nachbargarten herüber. Pillauge is watching you, dachte Katinka. Sie stapfte durch die Schneehaufen zum Zaun.
»Wohin wollen Sie denn?«, fragte der Nachbar.
»Ich will zu den Hartmanns«, sagte Katinka. »Die wohnen doch hier, oder?«
»Da kommen Sie zu spät, die sind immer früh dran. Spätestens um sieben sind die aus dem Haus.« Der Nachbar kratze sich unter der Pudelmütze. »Was wollen Sie denn von den Hartmanns?«
Privat mochte Katinka keine Typen wie diesen, aber beruflich waren sie nützlich.
»Ich hatte eine Anzeige aufgegeben«, erklärte sie bereitwillig. »Ich helfe im Haushalt und solche Sachen. Edith Hartmann hat mich angerufen.«
»Ach so«, sagte er. »Dann braucht sie jemanden für den Umzug, nehme ich an.«
Katinka sah perplex zu, wie er begann, die Schneeklumpen von den Rändern seiner Schaufel zu kratzen.
»Ziehen die Hartmanns um?«
»Sie können das Haus nicht mehr halten. Hat Edith Ihnen das denn nicht gesagt?«
»Nein. Ich dachte, es geht um eine Haushaltshilfe, Putzen und so was«, erwiderte Katinka. Sie schob die Hände tief in die Taschen, ihre Handschuhe lagen im Auto.
»Tja, traurige Geschichte«, sagte der Mann. »Wissen Sie, Udo hat da einige blödsinnige Finanzaktionen am Laufen. Er hat Geld verloren, alle Rücklagen. Ein schwerer Schlag.«
Es klang, als beklage der Mann ein Erdbeben.
»Da habe ich auch schon die schlimmsten Geschichten gehört«, kam Katinka ihm entgegen. »Man darf niemandem trauen, besonders nicht den Anlageberatern, wenn sie einem Renditen bis zum Himmel versprechen.«
»Genau.« Er hieb die Schaufel einige Male auf den Boden, dass die Eisreste wegspritzten. »Und wissen Sie was? Die Fonds hat ihm ein Kollege untergejubelt. Hat ihm das Blaue vom Himmel runtergelogen, alles wäre bombensicher und nach ein paar Jahren würden grüne Scheinchen auf ihn runterregnen. Tapfere Frau, die kleine Edith Hartmann. Sie legt sich mächtig ins Zeug, um das Schlimmste abzuwenden, aber als Aushilfe verdient sie natürlich viel zu wenig, um alles reinzuholen, was in den Fonds abgesoffen ist.«
Katinka schwirrte der Kopf. Ein Kollege. Wenn es dieser eine gewesen war, der nun steif wie gefrorener Kabeljau in der Rechtsmedizin lag …
»Wird das Haus verkauft?«, fragte sie.
»Ist schon über den Tresen«, sagte der Nachbar eifrig. »Kaum annonciert, kamen hier die Interessenten scharenweise den Berg rauf. Ich dachte, Sie wären auch eine von denen. Die Hartmanns haben normalerweise wenig Besuch. Viel haben sie nicht mehr für die Bude
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