Schockstarre
alles. Wie überall.«
»GHB?«
»Das ist dieses Zeug, das Frauen sexuell gefügig machen soll, oder? Liquid Ecstasy. Ich habe neulich im Radio einen Bericht gehört.«
»Hatte Frank Mendel Kontakte in die GHB-Szene?«
Irmela Fenering wiegte den Kopf. Katinka beobachtete sie genau.
»Ehrlich gesagt«, wählte Irmela Fenering ihre Worte, »kann ich mir Mendel nicht im Zusammenhang mit Drogen vorstellen. Er verschaffte sich seine rauschhaften Zustände durch Arbeit und Sex. In dieser Reihenfolge. Er sah gut aus und war in seiner ganzen Art ein attraktiver Mann. Er kriegte die Frauen auch so rum, ohne Drogen.«
»Ihr Mann ist ja fein raus«, sagte Katinka.
»Warum?«
»Er hat ein wasserdichtes Alibi für die Mordnacht.«
Irmela Fenering lächelte beinahe zärtlich.
»Sehen Sie, das ist seine unnachahmliche Art.«
»Mögen Sie Alissa Herbst?«
Irmela Fenering büßte ein wenig von ihrer hochgelobten Contenance ein.
»Ein kleines Dummchen. Sie hat sich Hoffnungen gemacht.«
»Und Sie? Haben Sie sich nicht auch Hoffnungen auf Frank Mendel gemacht?«
Irmela Fenering schnaubte.
»Wer hat Ihnen das denn erzählt!«
»Haben Sie?«
Katinka beobachtete, wie die Fassade der Frau vor ihr zu bröseln begann. Wütend riss sich Irmela Fenering die Fäustlinge von den Händen und schleuderte sie in den Schnee. Der berühmte Fehdehandschuh, dachte Katinka. Ein eisiger Windstoß fing sich in dem düsteren Winkel und riss an ihrem Haar.
»So einen totalen Quatsch habe ich ja noch nie gehört«, tobte Irmela Fenering. »Nie und nimmer. Ich bin froh, dass ich diese Phase hinter mir habe. Männer einzufangen macht Spaß, wenn es für ein nächtliches Vergnügen ist. Ein Appetithäppchen, bevor die Kerle dann vor die Tür treten und sich höflich verabschieden. Aber heiraten? Nochmal diese Kämpfe? Schwiegereltern? Stehpinkler? Ohne mich!«
Mit ein paar schnellen Schritten war Irmela Fenering bei ihren Handschuhen, sammelte sie ein und sagte:
»Tja, mehr habe ich nicht anzubieten.« Sie wandte sich um. »Übrigens, fideliter et constanter: treu und beständig. Oder besser: in Treue und Beständigkeit.«
Sie nickte Katinka zu und ging davon.
Ich hätte dir geglaubt, grübelte Katinka, ich hätte dir wirklich geglaubt, aber du warst scharf auf Mendel, und jetzt ist er tot und das tut dir weh.
15. Schockstarre
Die Frau an der Museumskasse kam bedauernd auf Katinka zu.
»Kein Einlass mehr. Tut mir wirklich leid. Die Kunstsammlungen schließen um vier.«
»Nicht so schlimm.« Katinka wollte nur eins: sich aufwärmen. »Ich bin auf der Suche nach ein paar Postkarten.«
Sie drehte den Ständer wie eine Gebetsmühle, pickte ab und zu lustlos eine Karte heraus und steckte sie wieder an Ort und Stelle zurück. War Edith Hartmann verzweifelt genug, um einen Mord zu begehen, der obendrein selbst in der Täterlogik völlig sinnlos war? Ein toter Frank Mendel würde das Geld, das er Hartmann abgeluchst hatte, nicht wieder zurückbezahlen können. Katinka wickelte den Schal ab. Mochte Edith Hartmann tatsächlich damit gerechnet haben, von Maria Mendel nach dem Tod ihres Mannes entschädigt zu werden für die Verluste, die die Hartmanns erlitten hatten? Katinka kam dieser Gedankengang absurd vor. Kurzsichtig. Genau, dachte sie, kurzsichtig ist das richtige Wort. Sie musste grinsen und bemerkte mit Erstaunen, dass sie sich an ihre neuen Sehverhältnisse inzwischen perfekt gewöhnt hatte. Ihr war weder das Fehlen ihrer Brille bewusst, noch dachte sie daran, dass sie Kontaktlinsen trug. Edith Hartmann konnte Mendel nicht erschossen haben. Katinka fehlte die Kraft, sich vorzustellen, wie Edith Hartmann in ihrem Lodenmantel unter den Bäumen auf Mendel gewartet hatte. Dann schon eher Maria.
Sie nahm fünf Postkarten aus dem Ständer und bezahlte. Was hatte Irmela Fenering da erzählt? Treue und Glauben?
»Wie lautet nochmal der Wahlspruch des Herzoghauses Sachsen-Coburg?«, fragte sie die Frau an der Kasse.
»Fideliter et constanter. Sie finden das Wappen gleich hier draußen im Hof, in Schwarz und Gold mit grünem Rautenkranz. Die Burg schließt übrigens bei Einbruch der Dunkelheit.«
Katinka bedankte sich, steckte das Tütchen mit den Postkarten in ihren Rucksack und trat auf den Hof hinaus. Eine Windbö fiel sie heimtückisch von der Seite an. Heulend fing sich der Wind in Wehrgängen und Kaminen. Katinka fror und bemitleidete die beiden Nackten aus Bronze, die den Weg zum Wappen wiesen. Ganz versunken betrachtete Katinka
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