Schockstarre
Kasten und trug ihn zur Tür. Drückte die Klinke mit dem Ellenbogen herunter und stellte den Kasten in den Schnee. »Nichts schlimmer als warmes Bier.«
Katinka lachte.
»Andere halten extra den Tauchsieder rein.«
»Alte Männer vielleicht.«
Katinka starrte ihn verblüfft an. Alte Männer. Hardo war um einiges älter als sie. Wie alt war für ihn ein alter Mann?
»Grinsen Sie nicht so unverschämt«, sagte Hardo.
In Katinkas Erinnerung meldete sich ein Gedanke zu Wort. Sie rief sich die Agentur Fenering ins Gedächtnis, sah den leise summenden Laptop auf dem Tisch, mit Mendels Speicherstick. In jenem Zimmer hatte Mendels Foto gestanden. Ein Zeitungsausschnitt in Thurids Büro zeigte ein stolzes Trio aus Hartmann, Mendel und Thurid. Wenn einer der beteiligten Männer die Statur desjenigen hatte, der ihr die K.o.-Tropfen in den Drink gemixt hatte, dann Frank Mendel.
Sie öffnete den Mund und sagte es Hardo. Er sah sie weniger skeptisch an, als sie befürchtet hatte.
»Ich weiß«, fügte sie hinzu, »es ist seltsam. Er ist das Opfer. Aber von allen Männern, die im Umkreis des Mordes aufgetaucht sind …«
»Wenn«, sagte Hardo bedächtig, »Mendel Sie mit K.o.-Tropfen abgefüllt hat, wenn er Ihre Waffe an sich gebracht hat, dann brauche ich eine Erklärung dafür, warum. Und ob er überhaupt die Absicht hatte, Ihre Pistole zu klauen, oder ob er nicht etwas ganz anderes wollte.«
»Außerdem«, gab Katinka zu bedenken, »wenn er die Waffe hatte, wie kam sie dann in die Hand eines anderen, der schließlich Mendel damit erschoss? Hat er die Beretta aus Versehen irgendwo liegen lassen? Ist sie ihm mit Gewalt abgenommen worden?«
»Jedenfalls nicht am Tatort. Da geben die Spuren ganz eindeutig Auskunft.« Hardo kratzte sich die Glatze. Er sah müde aus. Unruhig blickte Katinka auf die Uhr. Halb 2 in der Nacht.
»Sie haben gesagt, dass Sie etwas rausgekriegt haben – über die K.o.-Tropfen.«
»Unsere Drogenkollegen haben erst vor kurzem ein Hexenlabor ausgehoben, nicht weit von Bamberg, auf dem platten Land.«
»Hexenlabor?«
»So nennt man die illegalen Laboratorien, wo Betäubungsmittel dieser Art produziert werden. Drei Giftmischer sind uns ins Netz gegangen. Vermutlich haben sie ganz Oberfranken beliefert. Das Zeug ist nicht gerade preiswert, wohl aber die Ingredienzien. Das Seltsame an Ihrem Fall ist …«
»Was?«
Er druckste herum, bis er sagte:
»O.k., üblicherweise werden diese Art Drogen dafür verwendet, Frauen sexuell gefügig zu machen. Es gibt eine unglaublich hohe Dunkelziffer. Die Frauen, die missbraucht wurden, während sie betäubt und leblos dalagen, wenden sich nicht an die Polizei. Sie können sich denken, warum.«
Katinka nickte. »Ihre Behörde geht weder besonders einfühlsam mit den Opfern um, noch neigt sie dazu, den Frauen zu glauben. Sie könnten ja vorgeben, betäubt und missbraucht worden zu sein, so wie ich vorgeschützt habe, betäubt und bestohlen worden zu sein.«
Uttenreuther warf ihr einen seiner missbilligendsten Blicke zu und fragte: »Sie erinnern sich immer noch an nichts?«
Katinka schüttelte den Kopf. Das Einzige, dessen sie sich sicher glaubte, war, dass sie nicht vergewaltigt worden war. Sonst gab es da nichts, außer Schwärze und dem Gefühl, sich selbst nicht mehr glauben zu können, weil ihr eigenes Gedächtnis unzuverlässig geworden war.
»Die Kollegen sollen morgen den Giftmischern Fotos von den Männern aus der Agentur Fenering zeigen. Auch von Mendel. Vorsichtshalber. Ob sie jemanden wiedererkennen.«
»Die werden ihre Kunden bestimmt nicht preisgeben!«
Hardo wiegte sachte den Kopf.
»Das lassen Sie unsere Sorge sein.«
Katinka sah eine Weile ins Feuer.
»Wie haben Sie mich eigentlich gefunden?«, fragte sie schließlich.
»Das wollen Sie nicht wissen.«
»Das will ich nicht wissen?«
Er seufzte.
»Fallen Sie mich nicht gleich an. Ich habe Schilling angerufen.«
»Schilling? Aber …«
»Sie haben ja recht, Katinka.« Hardo setzte sich zu ihr aufs Sofa und berührte behutsam ihre Schulter. »Er ist ein eitler Fatzke, keiner, mit dem ich gerne ein Bier trinken gehen würde. Fahren Sie beruhigt die Krallen wieder ein.«
Katinka wusste, dass ein gemeinsamer Frühschoppen die höchste Sympathiebekundung war, die Hardo gewährte.
»Sie haben unser Gespräch einfach abgebrochen«, warf er ihr vor.
»Ich musste kotzen.«
Er verdrehte die Augen.
»Drücken Sie sich doch mal etwas liebevoller aus. Ich wusste wirklich nicht, was mit
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