Schockstarre
Katinka stellte die Außenkanten ihrer Hände auf den Tisch und legte los. Sie hörte ihr Herz pumpern. Das ist eine Chance, die ich nicht wieder kriege, dachte sie, während sie von ihrem Auftrag berichtete, dem Abend in der Kneipe, dem Filmriss. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie, wie Kommissarin Metze sich Notizen machte. Ihr Blick aus bernsteinbraunen Augen leuchtete warm, sonnig fast. Katinka erzählte davon, wie sie aufwachte, sich zu Hardo schleppte. Schillings Miene entging ihr nicht. Er verzog die Lippen zu einem Strich. Soll er denken, was er will, dachte Katin-ka. Sie erzählte von der Fahrt nach Coburg und dem Gespräch mit Edith Hartmann im Bistro. Die Konzentration wirbelte ihre Kopfschmerzen wieder auf.
Großkopf und Carolin Metze unterbrachen sie ab und zu mit Fragen. Schilling und die beiden Grauen sagten keinen Ton. Hartmanns Erpressernummer rief allgemeine Erregung hervor. Schilling rutschte auf seinem Stuhl herum, Carolin Metze schrieb noch schneller. Katinka kam zu Schillings Anruf und zu dem ernsten Gespräch, das er mit ihr geführt hatte. Sie holte tief Luft und spürte ein Stupsen an ihrem linken Bein. Vorsicht, teilte Hardo ihr mit. Sachlich und konkret. Nichts ausschmücken. Es fiel ihr schwer, ein paar gut gewürzte Seitenhiebe auszusparen, doch sie sah ein, dass es ihr nichts bringen würde, Schilling ans Bein zu pinkeln.
Als sie geendet hatte, blieb es geraume Zeit still, nur Carolin Metzes Stift kratzte über den Kollegblock. Schilling sortierte ein paar Unterlagen vor sich.
»Ich habe folgende Fragen«, sagte Katinka. »Erstens: Warum hat Irmela Fenering mich auf die Veste bestellt? Ging es ihr nur darum, den Verdacht auf Edith zu lenken? Falls ja, warum? Oder lenkte sie den Verdacht eigentlich auf Maria Mendel, indem sie einen dubiosen Passus im Ehevertrag erwähnte? Zweitens: Wo steckt Udo Hartmann genau jetzt? Drittens: Wie kam Edith Hartmann nach Seidmannsdorf und warum? Viertens: Das Fläschchen in ihrer Handtasche: Ist das GHB? Und wenn: Wie kommt Edith zu K.o.-Tropfen? Fünftens: Wann bekomme ich meine Waffe zurück?«
Großkopf lehnte sich weit in seinem Stuhl zurück und streckte die Füße von sich. Trautner verkniff sich ein Grinsen. Weinbeiß verzog keine Miene. Hauptkommissarin Metze dagegen lachte laut auf und sagte zu Trautner:
»Ist die ballistische Untersuchung denn immer noch nicht abgeschlossen?«
Der fummelte an seinem Pferdeschwanz und sagte halbherzig: »Doch, sicher.«
Carolin Metze blinzelte Schilling zu:
»Dann, Wolf, sollten wir kein Problem damit haben, Frau Palfy ihre Pistole zurückzugeben.«
Schilling und Carolin Metze tauschten einen Blick, ein sekundenkurzes Lächeln, dann machte Schilling eine unwirsche Handbewegung und Trautner stand auf und verließ den Raum. Katinka atmete so langsam und leise aus, wie sie konnte.
»Frau Palfy, unser Labor hat schnell gearbeitet«, sagte Carolin Metze. »Es ist tatsächlich GHB in dem Fläschchen. Dschii Ejtsch Bii, von mir aus.«
Schilling unterbrach sie.
»Hartmann ist weder zu Hause noch in der Agentur. Er hat sich nicht krankgemeldet, nicht angerufen. Wir versuchen, seinen Sohn zu erreichen.«
»Fragen Sie bei seinem Nachbarn nach«, rief Ka-tinka.
Sie hörte Hardo sich räuspern. Schilling knurrte Weinbeiß an. Der stand auf und ging ebenfalls raus.
Carolin Metze betrachtete all ihr Notizen und sagte:
»Hier haben etliche Leute etliche andere unter Druck gesetzt. Hartmann und Mendel haben Gruschka aus der Agentur gemobbt. Edith Hartmann versuchte, Maria Mendel zu erpressen, hatte aber nichts Schlagendes in der Hand, denn das erotische Ringelreihen in der Agentur Fenering ist Allgemeingut.«
»Muss es ja auch sein«, warf Großkopf ein, »nach der Anzahl der Beteiligten zu schließen.«
Katinka hörte den Vibrieralarm von Hardos Handy neben sich losgehen. Sie warf ihm einen Blick zu. Er nahm das Handy heraus, sah auf das Display und schob es Katinka hinüber. Eine SMS.
Katinka, ich hänge in Hof fest, alles eingeschneit. Handy ist leer. Ich habe eines ausgeliehen. Alles o.k. Tom.
Carolin Metze fuhr mit dem Zeigefinger über ihren Block.
»Dann ging Hartmann Frau Palfy an.« Die Kommissarin wandte sich Katinka zu. »Können Sie möglichst wortwörtlich wiedergeben, was er sagte?«
Katinka konzentrierte sich.
»Er wollte den Speicherstick, den ich von Thurids Laptop abgezogen habe.« Sie hörte, wie Schilling Großkopf etwas zuraunte, das wie »Hab ich’s nicht gesagt« klang. »Er drohte,
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