Schockstarre
wurde, und schilderte dann zum ungefähr zehnten Mal den Moment, als Hardo an diesem Morgen lauschend an der Tür stand.
»Er sagte, er habe einen Wagen gehört«, sagte Ka-tinka. »Ich selbst habe nichts gehört. Der Wind heulte. Noch viel stärker als jetzt. Dann war da ein Splittern. Es klang wie ein Ast, der abgerissen wurde. Vermutlich der Ast, der Edith Hartmann erschlug. Und fast gleichzeitig kam da noch ein Geräusch durch.« Sie versuchte, es zu beschreiben, musste dann aufgeben. »Verstehen Sie«, sagte sie zu dem Mann, der mit in die Ferne gerichteten Augen am Steuer saß, während feine Schneeflocken die Windschutzscheibe zudeckten, »im Nachhinein glaube ich, wir haben Edith Hartmann aufschreien gehört. Aber in dem Augenblick, als ich das Geräusch hörte, wusste ich nicht, was es war.«
Ihr Magen knurrte vernehmlich. Großkopf griff hinter seinen Sitz und hielt ihr eine Plastikdose mit Schinkenbrötchen hin.
»Bedienen Sie sich«, sagte er.
Ohne zu überlegen, griff Katinka zu. Sie betete, ihr Magen möge sich mit dieser milden Morgengabe anfreunden, und biss herzhaft hinein.
»Ich muss Sie das fragen«, sagte Großkopf. Er grub mit seinen Händen eine Schneise in sein braunes, von hauchfeinen Strähnen versilbertes Haar. »Haben Sie ein intimes Verhältnis mit Hauptkommissar Uttenreuther?«
Katinka war auf die Frage gefasst. Tatsächlich wunderte sie sich, warum sie ihr nicht schon früher gestellt worden war. Wenn sie in einem philosophischen Sinne darüber nachdachte, dann wäre die Antwort, dass sie es nicht wusste. Dass sie sich beide alle Mühe gaben, keines zu beginnen. Dass diese Nacht mit ihren wirren Gefühlen dem verkorksten Fall und dem Schnee zuzurechnen war. Aber das war zu kompliziert, insbesondere für eine polizeiliche Ermittlung. Also sagte Katinka, abgelenkt von der Überlegung, was Hardo wohl auf diese Frage antwortete:
»Nein.«
»Sicher nicht?«
Ich habe zu lange gezögert, dachte Katinka.
»Nein. Wir haben uns gern. Aber wir schlafen nicht miteinander.«
Der Beamte nickte und drehte dann sein Gesicht zu Katinka. Es war merkwürdig unregelmäßig, als sei die rechte Seite zu kurz geraten.
»Ich kenne Benno Lehmann sehr gut. Wir sind zusammen aufs Gymnasium gegangen. Ab und zu sitzen wir hier gemeinsam herum und reden über alte Zeiten. Leider kommt das viel zu selten vor.«
Er pumpte sich eine weitere Tasse Kaffee aus der Kanne. Katinka hielt ihm ihre hin.
»Haben Sie noch Sprit im Tank?«
Er grinste.
»Sicher.«
Katinka sah zu, wie der Kaffee in die Tasse spritzte.
»Ich habe einiges über Sie in der Zeitung gelesen«, sagte Großkopf, als er Katinka die Tasse reichte.
»Ach ja?«
»Haben Sie einen Manager oder Agenten? Oder warum sind Sie so oft in der Presse!«
Katinka schob überrascht die Unterlippe vor.
»Keine Ahnung. Bin ich oft in der Presse?«
»Es gibt ja ein paar Detekteien hier in der Gegend«, sagte Großkopf und nippte an seinem Kaffee. »Aber von denen sieht oder hört man nie irgendwas.«
Er wartete auf Katinkas Reaktion. Sie zuckte nur die Schultern.
»Und?«
»Finden Sie es geschickt, so an die Öffentlichkeit zu treten mit Ihrem Beruf? Brauchen Sie nicht die stillen Winkel, die Diskretion?«
Katinka musste zugeben, dass sie unter dem Aspekt noch nicht über ihren Job nachgedacht hatte.
»Eine sehr gute Freundin von mir, Britta Beerenstrauch, ist Redakteurin bei der Bamberger Zeitung«, sagte sie schnell, wie um sich selbst eine Erklärung zu geben. »Sie … naja, so ein Start mit einem eigenen Detektivbüro ist nicht leicht. Ich brauchte die Publicity.«
Katinka schwieg und erinnerte sich daran, wie Maria Mendel behauptet hatte, sie aus der Presse zu kennen. Irmela Fenering hatte ebenfalls auf Zeitungsartikel hingewiesen. Womöglich hatte Großkopf recht und sie brauchte mehr Anonymität. Nicht nur zu ihrem eigenen Schutz. Es mochte auch für die Lösung ihrer Fälle von Vorteil sein.
»Es gab da doch diese Aufsehen erregende Geschichte mit der Bamberger Sandkirchweih«, sagte Großkopf jetzt.
Katinka stöhnte. Die Sache war ihr zweiter großer Fall gewesen, aber im Grunde ihr geschäftlicher Durchbruch. Das größte Volksfest Bambergs * war in Gefahr gewesen. Ein biologisches Kampfgift war aufgetaucht, Drohbotschaften und zwei Tote hatten die Stadt in Atem gehalten. Egal was die Zeitungen damals geschrieben hatten, manche reißerisch, andere besonnen: Ohne Katinka wäre die Geschichte anders ausgegangen. Sie hatte den Täter
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