Schockstarre
Pinnwand stand und auf sie wartete.
»Die Ermittlungsgruppe trifft sich in anderthalb Stunden wieder«, sagte er. »Zeit genug, was essen zu gehen. Kein Kampf ohne Mampf.«
Katinka seufzte auf.
»Absolut. Mein Magen hängt auf halb acht. Was mögen Sie? Pizza?«
»Klingt verlockend.«
Sie landeten in einem Restaurant mit dem erwärmenden Namen Maccaroni . Katinka entschuldigte sich und verzog sich auf die Toilette. Die Stufen führten sie in einen Gewölbekeller. Nachdenklich betrachtete sie sich im Spiegel. Ihre Ersatzklamotten steckten noch in ihrem Auto, und das stand am Ufer von Lehmanns Karpfenteich. Ihr Spiegelbild verzog das Gesicht zu einem halbherzigen Grinsen. Sie sah mitgenommen aus. Die kleine Platzwunde verheilte zwar und fiel nicht weiter auf, wenn sie darauf achtete, die Ponys zur Seite hin zu streichen. Doch ihre Augen unter dicken Lidern blickten müde drein. Sie dachte an Tom. Wenigstens war ihm nichts passiert. Sie filzte ihren Rucksack auf der Suche nach ihrer Haarbürste und stieß auf das Mascarabürstchen. Vor zwei Tagen hatte sie es gekauft, bevor sie Hartmann über den Weg gelaufen war. Rasch tuschte sie sich die Wimpern. Das Schwarzbraun brachte ihre Augen zum Glänzen und kaschierte den erschöpften Ausdruck in ihrem Gesicht fürs Erste.
»Ich habe mir erlaubt, Ihre übliche Sorte zu bestellen«, verkündete Hardo, als sie zurückkam.
»Klasse«, sagte Katinka. »Wie gut, dass Sie mich von Grund auf kennen!«
Er lachte. »In Ihnen kann man mitunter lesen wie in einem Buch.«
»Das wird sich ändern«, versprach Katinka und griff nach dem Mineralwasser, das der Kellner schwungvoll in die Gläser zirkelte. »Ich arbeite dran.«
»Gewöhnen Sie sich bloß kein Pokerface an! Das wird man nie wieder los.«
»So wie Sie?«
Er verdrehte die Augen.
»Nur kurz, bevor das Essen kommt. Glauben Sie an einen Udo Hartmann als Täter?«
Katinka seufzte.
»Ich weiß nicht mehr, was ich weiß und was ich glaube. Hauptsache, sie finden ihn und quetschen raus, was in ihm steckt. Das wird die einzige Möglichkeit sein, Licht ins Dunkel zu bringen.«
Hardo sah sie nachdenklich an und fragte dann:
»Seit wann schminken Sie sich eigentlich?«
»Und seit wann merken Sie, ob ich mich schminke oder nicht?«
Er lachte und zeigte mit dem Kinn Richtung Küche.
»Männer haben immer ein Auge dafür, wie Frauen aussehen. Unsere Pizza ist im Anmarsch.«
Katinka stürzte sich auf ihre Pizza Quattro Stagioni und säbelte ein großes Dreieck heraus. Wie immer schnitt sie das Schinkenstück zuerst an. In ihrer persönlichen Weltanschauung hatten Traditionen keinen allzu hohen Stellenwert, aber gelegentlich gab es Ausnahmen, besonders beim Essen. Komisch, dachte Katinka, während sie über ihre dampfende Pizza hinweg Hardos Gesicht studierte. Am Anfang habe ich ihn gebraucht wie ein Lexikon – um nachzuschlagen, was ich richtig mache und was falsch. Aber jetzt, ganz allmählich, fast unmerklich, komme ich ganz gut alleine über die Runden. Als hätte mir jemand über Nacht die Stützräder vom Fahrrad geschraubt, und ich fahre ohne und merke es erst jetzt. Aber eigenartigerweise spürte sie, dass sie ihn immer noch brauchte. Auf eine andere Weise als zuvor. Sie konnte nur nicht genau sagen, wie.
»Schmeckt’s?«, fragte Hardo.
»Bestens. Und Ihnen?«
Er nickte, lächelte und bugsierte fast ein Viertel seiner Pizza auf einmal in seinen Mund.
»Was ist eigentlich mit Ihrer Arbeit in Bamberg? Können Sie sich einfach so absetzen?«
»Das ist alles geregelt.« Er gabelte ein Stück Salami auf und verspeiste es voller Appetit.
Wenn Hardo ermordet würde, dachte Katinka plötzlich und schauderte, was würde dann mit meinem Leben passieren? Und mit meinem Beruf? Die Vorstellung schien ihr so grausam und widersinnig, dass sie für einen Moment zu kauen vergaß. Sie legte die Gabel weg, Furcht kroch ihr in den Bauch. Hardo mochte für sie selbst genau so ein Mentor sein wie Mendel für Thurid. Sie angelte mit den Fingern rasch eine Pepperoni von der Pizza und biss vorsichtig hinein.
»Scharf?«, fragte Hardo.
»Geht so«, sagte Katinka abwesend.
Hardo bestand auf einem Tiramisù inklusive Espresso als Nachspeise, sodass keine Zeit mehr blieb, nach Seidmannsdorf zu fahren und Katinkas Sachen abzuholen. Es hatte aufgehört zu schneien. Die Temperaturen stiegen. Der eisige Wind war einer beinahe milden Brise gewichen. Ein milchiger Schleier lag in der Luft.
»Das Wetter gefällt mir nicht«, murmelte
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