Schockstarre
gefunden und gestellt, und sie hatte herausgefunden, wo das Ricin versteckt war. Sie spürte, wie ihr Gesicht warm wurde und trank schnell einen Schluck Kaffee. Dann verlangte Großkopf von ihr, die Ereignisse jener Nacht zu erzählen, in der sie den angeblichen Henryk Pawlowicz beschattet hatte und ausgeknockt worden war. Er schien die Akten ausführlich studiert zu haben und stellte ziemlich konkrete Zwischenfragen. Katinka bemerkte, wie die Kopfschmerzen sich wieder in ihr Bewusstsein fraßen. Während sie redete, tastete sie über ihren Hinterkopf. Dachte daran, dass sie eine Dusche und eine intensive Haarwäsche brauchte und musste frustriert hinnehmen, dass sie dazu nicht sehr bald Gelegenheit bekommen würde. Großkopf wechselte wieder zu den Ereignissen der vergangenen Nacht. Katinka lehnte sich erschöpft zurück. Ihr Kaffeebecher war bis zum Rand mit Luft gefüllt. Sie überlegte, ob sie Großkopf um eine weitere Tasse bitten sollte. Außerdem musste sie pinkeln.
Ein Beamter klopfte an die Scheibe. Großkopf ließ das Fenster herunter.
»Was Neues?«
»Wir haben ihre Handtasche gefunden. Sie war zugeschneit. Lag aber nur knapp neben ihr. Sie hatte die üblichen Sachen drin«, er verdrehte die Augen, als er Katinka kurz musterte. »Außerdem ein Fläschchen, unbeschriftet, mit farbloser Flüssigkeit.«
»Das will ich mal sehen.«
Der Beamte verschwand und kam kurz darauf wieder. Großkopf schlüpfte in Latexhandschuhe und nahm es ihm ab.
»Hm«, brummte er und hielt es Katinka hin.
Sie schnupperte.
»Es riecht nach nichts. Allenfalls … leicht salzig.«
Großkopf reichte das Fläschchen zurück.
»Das muss schnellstens analysiert werden. Ich vermute GHB oder was Vergleichbares«, sagte er. Der Kollege verzog sich.
Katinka spürte Ameisen an ihrem ganzen Körper. Jetzt, dachte sie, während Großkopf sein Handy zückte und eine Nummer eintippte, jetzt kommt Bewegung in diesen Fall. Ihre sich überstürzenden Gedanken konnten keinen Haken zum Festhalten finden, aber es kam ihr vor, als schlösse sich ein Kreis, als wendeten sich zwei lose Enden einander zu und verknüpften sich zu einem Knoten. Den entwirren wir, dachte Katinka. Knoten sind zu lösen. Entschlossen drehte sie sich zu Großkopf und sagte:
»Tut mir leid, aber wir sollten unser Rendezvous vertagen. Ich muss mal für kleine Detektivinnen.«
18. Schlag auf Schlag
Donnerstag, 13. 1. 2005, 11:20 Uhr
Die Ermittlungsgruppe traf sich in einem schlichten Zimmer mit einer Schultafel am oberen Ende und einem Tageslichtprojektor, dessen Kabel zusammengerollt auf der Glasplatte ruhte wie ein schlafendes Tier. Katinka und Hardo warteten, bis die anderen sich gesetzt hatten. Schilling führte den Vorsitz. Neben ihm saß Großkopf, dann kam eine Frau mit kurzem, sehr lockigem blonden Haar, und auf der anderen Seite saßen zwei Männer in grauen Pullovern, einer fast so kahl wie Uttenreuther, der andere mit einem fusseligen Pferdeschwanz.
»Bitte.« Schilling wedelte mit der Hand. »Nehmen Sie Platz. Meine Kollegen, Oberkommissar Großkopf, Hauptkommissarin Carolin Metze, die Kommissare Trautner und Weinbeiß.«
Katinka wusste nicht, wieso Schilling sie und Hardo ohne Murren mitgenommen hatte, aber sie nahm an, dass sie es ohnehin gleich erfahren würde.
»Edith Hartmann kam nach einer ersten Auskunft unserer Rechtsmedizin durch einen Unfall ums Leben«, begann Schilling. Er trug einen schwarzen Rollkragenpulli und schwarze Jeans. Katinka lugte unter den Tisch, um seine Schuhe zu inspizieren. Schwarze, glänzende Lederstiefel, sauber und frisch, er musste sie eben geputzt haben, nachdem sie von Lehmanns Hütte in Seidmannsdorf zurück nach Coburg gekommen waren.
»Frau Hartmann wurde von einem Ast erschlagen, der auf dem Grundstück von«, er blätterte in seinen Unterlagen, »Oberstleutnant Lehmann vom Sturm abgeknickt wurde. Kollege Uttenreuther aus Bamberg steht zu unserer Verfügung«, fuhr Schilling fort. »Außerdem haben wir heute Privatdetektivin Katinka Palfy an Bord. Sie ist in den Fall um den Mord an Mendel auf vielschichtige Weise verwickelt. Ich erhoffe mir Aufschluss von ihrer Darstellung der Dinge. Darf ich Sie bitten, Frau Palfy?«
Katinka kullerten beinahe die Augen aus den Höhlen. Darstellung der Dinge? Hardo erwiderte ihren irritierten Seitenblick mit einer hochgezurrten Augenbraue und einem Ausdruck um den Mund, der eine Mischung aus Feixen und einem ungeduldigen Nun-machen-Sie-schon darstellte.
»O.k. Gut.«
Weitere Kostenlose Bücher