Schockstarre
bedächtig, als rechne sie damit, dass der Stuhl nicht mehr da war. Schilling sagte irgendetwas, das sie vor Aufregung nicht mitbekam. Weinbeiß ging, und sie wäre ihm am liebsten nachgelaufen.
»Dann wäre da noch zu bedenken, aus welchem Grund Irmela Fenering mit Frau Palfy sprechen wollte«, sagte Carolin Metze und schickte ihre warmen Bernsteinaugen durch den Raum. »Irgendwelche Ideen?«
Großkopf seufzte.
»Das Offensichtlichste wäre, wenn sie Frau Palfy in eine einsame Ecke locken wollte, um sie dann bewusstlos zu schlagen. Aber mir fehlt das Motiv dafür: Warum sollte sie das tun, nachdem sie zuvor mit Frau Palfy ein Gespräch geführt hat? Warum nicht vorher? Sie hätte zum Treffpunkt kommen und Frau Palfy sofort niederschlagen können.«
»Das stimmt«, gab Katinka zu. Sie fröstelte bei dem Gedanken. »Ich wartete vor dem Herzoginbau auf sie, und sie tauchte wie aus dem Nichts auf. Ich hatte schon lange gewartet, war ungeduldig. Mit einem Mal stand sie da.«
»Wir sollten sie fragen«, sagte Carolin Metze.
Die anderen Ermittler schwiegen. Irmela Fenering passte nicht ins Mosaik. Sie war ein Puzzleteil, das man besser beiseite legte, um es dann einzusetzen, wenn das Gesamtbild sich abzeichnete.
Trautner kam zurück, mit einem Formular in der Hand, das er vor sich auf dem Tisch ablegte und umständlich auszufüllen begann. Schillings Handy klingelte. Er führte ein kurzes Gespräch. Katinka nahm die Beretta aus der Plastiktüte, ließ das Magazin einrasten und genoss das harte Klicken. Sie verstaute die Waffe im Holster und fühlte zum ersten Mal wieder das vertraute harte, schwere Metall unter ihrer Achsel. Sie sah Hardo an. Der versuchte es mit einem winzigen Grinsen, wurde aber abgelenkt von Schilling, der sein Handy auf den Tisch knallte und rief:
»Wir haben einen Zeugen, der Hartmann gestern gegen fünf aus der Veste kommen sah.«
Katinka zog hart die Luft ein. Hartmann. Der Geld von ihr wollte und ihr deshalb einen Schlag versetzt hatte. Das ist sowas von unlogisch, dachte sie.
»Wir holen den Mann her«, sagte Schilling. »Kurze Pause.«
Die Gruppe löste sich auf. Trautner schob Katinka das ausgefüllte Formular herüber. Sie hatte gerade keine Kapazität für Bürokratie frei. Während Trautner, Schilling und Großkopf in den Gang traten, Hardo knapp hinter ihnen, sortierte Carolin Metze ihre Notizen.
»Frau Metze«, sagte Katinka und zweifelte, ob »Frau Hauptkommissarin« nicht passender gewesen wäre, »es gibt da noch eine Sache, die mir durch den Kopf geht.«
»Schießen Sie los.«
»Der Mann, der mir die K.o.-Tropfen einflößte«, sagte sie, »könnte eventuell Mendel gewesen sein.« Sie tastete nach den schmerzenden Stellen am Hinterkopf und zuckte zusammen.
»Mendel?« Carolin Metze sah entgeistert drein.
»Es klingt idiotisch, ich weiß«, sagte Katinka. »Ich sage ja: eventuell. Aber er ist der einzige Mann unter den Beteiligten, dessen Statur passen würde. Pawlowicz war so groß wie Mendel, hatte die gleiche Figur. Er trug einen Hut und hatte einen Bart im Gesicht. Er könnte sich verkleidet haben! Und zusätzlich die Brille … Ich habe ihn in der Rechtsmedizin gesehen. Als Toten hätte ich ihn nie wiedererkannt. Aber in der Agentur haben die Mitarbeiter ein Trauerbild aufgestellt. Und je mehr ich darüber nachdenke, desto fester glaube ich, dass Mendel als Pawlowicz in der Kneipe gewesen sein könnte. Könnte, wohlgemerkt.«
Katinka spürte ihr Gesicht warm werden. Diese Sache war knifflig, sie wollte nach ihrem anfänglich akzeptablen Auftritt nicht als Spinnerin gelten. Vor allem nicht Schilling gegenüber. Glauben galt nicht bei Ermittlungen. Kriminalfälle wurden durch harte Arbeit gelöst, nicht durch Intuitionen. Aber manchmal waren die Intuitionen die ersten Vorboten der rationalen Gedankenkette. Leuchtfeuer, auf ihre eigene Weise arbeitende neurologische Verschaltungen.
Carolin Metze sah Katinka eine ganze Weile fest in die Augen. Katinka ertappte sich dabei, nach eingeschlossenen Fliegen in ihrer Bernsteiniris zu suchen.
»Wir schicken jemanden zu den Bamberger Zeugen, die Sie an dem Abend mit Pawlowicz gesehen haben. Sie sollen sich ein aktuelles Foto von Mendel anschauen.« Sie blätterte in ihren vollgeschriebenen Blättern. »Dann werden wir ja sehen.« Sie rief Trautner zurück.
Katinka blies sich die Haarsträhnen aus dem Gesicht.
»Gut«, sagte sie. »Wunderbar.«
Sie folgte den anderen auf den Korridor, wo Hardo mit dem Rücken zu einer
Weitere Kostenlose Bücher