Schockstarre
beieinanderliegenden Straßengräben hin- und herschleuderte, eine halb leergetrunkene Whiskeyflasche zwischen Knieen und Bauch.
»Katinka, aufwachen«, raunte Hardo ihr zu.
Sie blinzelte.
»Der Bamberger Kollege hat sowohl Susanna Heinze als auch Tonio Albert erreicht. Tonio Albert arbeitet im«, Schilling stöberte in seinen Papieren nach dem Namen.
» Rio-Club «, half Carolin Metze aus.
» Rio-Club «, griff Schilling nach dem dargebotenen Haken und bedankte sich mit einem Lächeln bei seiner Kollegin. »Er hatte Schicht an dem Abend, als Frau Palfy dort auf Pawlowicz traf. Er behauptete, dass Frau Palfys Gesprächspartner Mendel sein könnte.«
Katinka biss sich die Lippen wund und wechselte einen Blick mit Hardo. Ruhig jetzt, suggerierte sie sich. Keine Gefahr. Reiß dich zusammen.
»Und schließlich …«, Schilling machte es spannend und genoss die Pointe wie ein Zirkusdirektor, der eine neue Raubtiernummer ankündigt:
»Frau Heinze, die zum Geldwechseln in die Kneipe kam, reagierte auf das Foto von Mendel mit den Worten: ›genau das ist er‹. Tja.«
19. Ein schwerer Verdacht
Donnerstag, 13. 1. 2005, 14:57 Uhr
»Die Indizien, die gegen Hartmann sprechen, sind erdrückend«, sagte Uttenreuther, als sie zum Wagen gingen.
»Schon«, murmelte Katinka. Sie ärgerte sich immer noch über Schillings zweideutiges Grinsen, als er ihr und Hardo einen schönen Abend gewünscht hatte. »Aber wenn mir Mendel als Henryk Pawlowicz maskiert die Waffe abgenommen hat, wie kommt dann Hartmann an die Pistole, und warum erschießt er Mendel damit?«
Sie beobachtete den Kommissar von der Seite. Seine Kiefer mahlten auf dem Problem herum, aber es gab keine Antworten auf all die Fragen, die sich an diesem Nachmittag neu gestellt hatten. Auf die alten Fragen genauso wenig.
Es war erst kurz nach vier. Die Dämmerung hielt die Stadt fest in der Zange, der Nebel tat ein Übriges.
»Tristesse pur«, kam es von Hardo, während er aufschloss und sich hinters Steuer klemmte. »Was machen wir jetzt?«
»Gute Frage. Wie wäre es mit Sightseeing?«
Er verzog das Gesicht. »Muss das sein?«
»Bestimmt interessiert Sie das erste Wasserklosett Europas.«
»Wollen Sie mich verkohlen?«
Katinka lachte.
»Nein. Die Königin Victoria besaß …«
»Hören Sie schon auf. Sie wollen mich los sein?«
»Nicht direkt«, wehrte Katinka ab. »Ich hätte Lust auf einen Kurzbesuch bei Thurid Maas. Vielleicht geht es ihr besser und sie erzählt mir, was Edith heute Morgen zu uns in die Fischbude getrieben hat.«
Hardo befestigte mit einem Klack seinen Gurt.
»Ich sekundiere Ihnen«, sagte er. »Wo wohnt Thurid?«
»Bei der Morizkirche. Mitten im Zentrum.«
Hardo drückte Katinka einen Stadtplan in die Hand.
»Sie denken, ich lenke.«
Katinka unterdrückte wohlweislich den Impuls, ihn zu fragen, wie der Tag für sie beide zu Ende gehen würde. Im Grunde genommen konnten sie in Coburg nichts mehr ausrichten. Schilling und seine Leute hatten Hartmann zur Fahndung ausgeschrieben. Ihnen blieb nichts anderes übrig, als nach Hause zu fahren und in den Winterschlaf überzuwechseln. Diese Aussicht schien Katinka verlockend und deprimierend zugleich.
Sie brauchten einige Anläufe, um mit den Einbahnstraßenregelungen zurecht zu kommen. Hardo parkte den Golf auf dem Kirchhof direkt vor einer Töpferei. Feiner Regen sprühte auf den Wagen und gefror binnen Sekunden zu einer filigranen Eisschicht.
»Sie warten auf mich?«, fragte Katinka.
»Klar.«
Katinka schlüpfte aus dem Auto und war dankbar für das knappe Kilogramm Metall, das sie unter ihrer linken Achsel trug. Als ob eine gute alte Freundin aus dem Urlaub zurückgekommen ist, dachte sie und grinste bei dem Vergleich. Waffe als Freundin, meine Güte. Sie feixte den roten Hydranten an und drückte auf Thurids Klingelknopf.
Keine Reaktion. Katinka sah an der roten Fassade hoch. Sie versuchte es nochmal. Eine ältere Dame kam heraus, einen Dackel auf dem Arm.
»Klingeln Sie ruhig oben«, sagte sie. »Die Außenglocke funktioniert manchmal nicht.« Sie setzte den winselnden Dackel auf die Straße und ging davon.
Katinka stieg die enge Treppe hinauf. Die Müdigkeit legte ihre Muskeln lahm. Sie klingelte und wartete ab. Schließlich klopfte sie und rief verhalten:
»Frau Maas? Sind Sie zu Hause?«
Stille.
Hilft nichts, dachte sie. Thurid Maas ist entweder nicht da oder liegt mit Schlafmitteln zugedröhnt im Bett. Thurid tat ihr ein bisschen leid. Sie hatte selber
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