Schockstarre
furchtbare Nächte durchgestanden, im vergangenen Sommer, als eine Freundin aus Kindertagen ermordet worden war. Dank Toms und Hardos Unterstützung hatte sie die kritischen Phasen ohne Chemikalien überstanden und war als eine neue und doch immergleiche Katinka aus der Krise hervorgegangen. Ein letztes Mal klopfte sie an die Tür und rief nach Thurid, aber alles blieb still.
»Sie pennt oder sie ist nicht daheim«, sagte Katinka zu Hardo, als sie sich wieder auf den Beifahrersitz fallen ließ.
»Ersteres, schätze ich.«
»Was machen wir jetzt?«
Sie sahen einander ratlos an. Bevor die Situation peinlich wurde, fragte Katinka:
»Könnten Sie mich zu meinem Auto fahren? Ich muss wenigstens meine Sachen rausholen. Zahnbürste und sowas.«
»Kein Thema«, nickte Hardo und ließ den Motor an.
Katinka studierte den Stadtplan und lotste Hardo auf dem kürzesten Weg nach Seidmannsdorf. Ihr Auto hockte immer noch unter einer dicken weißen Schicht aus Schnee. Mit Sommerreifen käme sie nie aus der Schneekuhle heraus.
»Der arme Kerl«, seufzte Katinka und kletterte aus dem Golf.
»Das ist nur ein Auto«, rief Hardo ihr hinterher.
Schnell angelte sie sich ihre Tüten und verstaute sie in Hardos Kofferraum. Der Schnee fühlte sich glatt an, mehr wie Eis als wie Schnee. Harsch, dachte Katinka, harsch ist ein Wort, das genau darauf passt und nur darauf. Sie knallte die Tür zu und schloss ab.
»Hat eigentlich irgendjemand Lehmann Bescheid gegeben, dass er letzte Nacht Gäste hatte?«
Hardo zuckte die Schultern.
»Möglich.« Katinka sah seine grauen Augen aufleuchten. »Wissen Sie, was mich interessiert, Katinka?«
»Nein. Was?« Sie sank neben ihn auf den Sitz.
»Wie sind Sie eigentlich von der Veste aus hierher gekommen?«
»Das kann ich Ihnen zeigen.«
»Haben Sie sich den Weg gemerkt?«
»Wo ich einmal war«, dozierte Katinka feierlich, »da finde ich auch wieder hin.«
Er lachte.
»Gut. Also los, das will ich sehen.«
Wehmütig sah Katinka die Fischteiche in der Dunkelheit verschwinden. An den Kreuzungen wusste sie genau, wie sie gefahren war. Es machte ihr nichts aus, die Fahrtrichtung von gestern im Kopf umzudrehen. Sie passierten die Kirche und hielten sich beim Kriegerdenkmal links.
»Ganz schön steil«, sagte Hardo, als er den Golf mit der Nase nach oben über die verschneite Straße steuerte.
»Glatt, was?«, fragte Katinka. Ihre Muskeln verspannten sich.
Uttenreuther nickte. Der Golf brach hinten aus.
»Himmel, Arsch und Wolkenbruch, ist das ein Sauwetter.«
»Hardo! Sie fluchen wie ein Leichtmatrose!«
»Das hier ist eine protestantische Stadt.« Er tarierte behutsam das Steuer aus.
»Und die Lutheraner dürfen fluchen, bis sie blau im Gesicht sind, oder was?«
Hardo grinste. Sie durchquerten Löbelstein. Der Nebel hing dicht wie eine Tapete zwischen den Häusern. An der Kreuzung mussten sie rechts abbiegen, die Kurve war scharf, der Anstieg steil. Ein Streufahrzeug kam ihnen entgegen, das gelbe Licht blinkte aufdringlich. Katinka kniff die Augen zusammen und klammerte sich an ihrem Sitz fest. Hardo steuerte knapp an dem breiten Gefährt vorbei. Sie hörte die Ketten rasseln und spürte die Erschütterung.
»Träumen Sie auch schon vom Sommer?«, fragte Ka-tinka, als sie die Ebene erreichten.
Der Nebel saß direkt vor den Scheinwerfern. Hardo blendete ab und tastete sich Meter für Meter vor.
»Ehrlich gesagt«, erklärte er, »habe ich keine Vorlieben. Winter oder Sommer … das macht keinen großen Unterschied in meinem Leben.«
»Warum nicht?«
Er lachte auf.
»Welchen? Sagen Sie mir welchen, Katinka.«
Das klang bitter und zusammen mit dem gefrierenden Grau auf der Windschutzscheibe ziemlich depressiv.
»Ich dachte nur«, versuchte Katinka sich aus der Affäre zu ziehen, »im Sommer kann man auf den Keller gehen.«
Es gab nichts, was ein Franke lieber tat: Die Bamberger gingen auf den Keller, wo andere den Biergarten aufsuchten, aber ein kühles Bier stand für alle auf der Agenda. Hauptkommissar Uttenreuthers Passion war ein Kellerbesuch, das wusste Katinka genau.
»Ach«, sagte er jetzt und ließ den Wagen rollen. »Wissen Sie …«
Er schwieg. Katinka starrte auf den grünen Zaun, der das Flugplatzgelände absperrte, nur wenige Meter sichtbar, als rage er aus einem diffusen Traum. Erdrückt von der Stille und plötzlichen Traurigkeit versuchte es Katinka mit einem Themenwechsel.
»Hier rechts ist ein kleiner Flugplatz. Wenn wir der Straße folgen, geht es bald steil
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