Schockwelle
man möchte nicht, daß illegale Arbeiter aufs Festland flüchten. Das wurde mit den korrupten kanadischen Beamten so vereinbart.«
Rege Betriebsamkeit herrschte rundum, als sie den Tunnel auf der anderen Seite verließen und auf das eigentliche Minengelände kamen. Der Schlepperfahrer bog auf eine Asphaltstraße ab, die um eine riesige Grube herumführte – der alte Vulkanschlot. Dann steuerte er einen niedrigen, an eine Nissenhütte erinnernden Betonbau an und hielt an einer langen Laderampe.
Ein Mann in einem pelzbesetzten Mantel, unter dem er eine weiße Kochkluft trug, öffnete die Tür zu einem Lagerhaus, in dem die Nahrungsmittel aufbewahrt wurden. Er winkte Broadmoor zu.
»Schön, Sie zu sehen, Mason. Sie kommen gerade recht. Wir haben nur noch zwei Kisten Kabeljau.«
»Wir haben so viel Fisch mitgebracht, daß Ihre Arbeiter Schuppen davon kriegen.« Broadmoor wandte sich um und sagte leise zu Pitt: »Dave Anderson leitet die Küche für die Schürfer. Ein anständiger Kerl, trinkt aber zuviel Bier.«
»Der Tiefkühlraum ist offen«, sagte Anderson. »Paßt auf, daß ihr die Kisten richtig stapelt. Beim letztenmal sind Flundern zwischen den Lachs geraten. So was ruiniert mir den Speiseplan.«
»Ich habe Ihnen was Besonderes mitgebracht. Fünfzig Kilo Elchsteaks.«
»Sie sind in Ordnung, Mason. Wegen Ihnen kaufe ich auch keinen gefrorenen Fisch auf dem Festland«, erwiderte der Koch mit einem breiten Lächeln. »Wenn ihr die Kisten verstaut habt, könnt ihr alle in die Kantine kommen. Bis dahin haben meine Jungs das Frühstück fertig. Sobald ich mir euren Fang angesehen habe, stell’ ich euch einen Scheck aus.«
Nachdem die Holzkisten mit den Fischen im Tiefkühlraum verstaut waren, marschierten die Haida-Fischer, gefolgt von Pitt, in die warme Kantine. Sie stellten sich an der Serviertheke an und bekamen Eier mit Würstchen und Pfannkuchen vorgesetzt.
Als sie sich an einem riesigen Behälter Kaffee holten, blickte Pitt sich um und musterte die an den anderen Tischen sitze nden Männer. Die vier in eine Wolke aus Zigarettenqualm gehüllten Wachmänner unterhielten sich in der Nähe der Tür. Ansonsten befanden sich hauptsächlich chinesische Schürfer in dem Saal, annähernd hundert Mann, die frisch von der Nachtschicht kamen. Etwas abseits, in einer Art privatem Speiseraum, saßen zehn Männer, die Pitt für Ingenieure und Aufseher hielt, um einen runden Tisch.
»Wer von denen ist der unzufriedene Angestellte?« fragte er Broadmoor.
Broadmoor deutete mit dem Kopf zu der Tür, die in die Küche führte. »Er wartet draußen bei den Müllcontainern.«
Pitt starrte den Indianer an. »Wie haben Sie das denn gedeichselt?«
Broadmoor lächelte verschmitzt. »Wir Haida können uns auch ohne Glasfaserkabel verständigen.«
Pitt hakte nicht nach. Dazu war jetzt keine Zeit. Unauffällig ging er zur Küche, ohne die Wachen aus dem Auge zu lassen.
Keiner der Köche oder Küchengehilfen blickte auf, als er sich zwischen den Öfen und Spülbecken hindurch zum Hinterausgang begab und draußen die Treppe hinunterstieg. Die großen, eisernen Müllcontainer rochen nach fauligem Gemüse.
Pitt blieb in der klaren, kalten Luft stehen, ohne genau zu wissen, was ihn erwartete.
Eine hoch aufgeschossene Gestalt trat hinter einem Container hervor und kam auf ihn zu. Der Mann trug einen gelben Overall, dessen Beine unterhalb der Knöchel mit Erde verkrustet waren, einer eigenartig bläulichen Erde. Er hatte einen Schutzhelm auf dem Kopf, und das Gesicht war durch eine Art Atemmaske mit Luftfilter verdeckt. Ein Bündel klemmte unter seinem Arm.
»Soviel ich weiß, interessieren Sie sich für unser Bergwerk«, sagte er leise.
»Ja. Ich heiße –«
»Namen spielen keine Rolle. Wir haben nicht viel Zeit, wenn Sie die Insel mit den anderen Fischern verlassen wollen.« Er holte das Bündel unter dem Arm hervor, rollte es auf und reichte Pitt einen Overall, eine Atemmaske und einen Schutzhelm.
»Ziehen Sie das an und folgen Sie mir.«
Pitt schwieg und tat, wie ihm geheißen. Er glaubte nicht, daß es sich um eine Falle handelte. Wenn er aufgeflogen wäre, hätte ihn das Sicherheitspersonal jederzeit festnehmen können, seit er den Fuß an Land gesetzt hatte. Pflichtschuldig zog er den Reißverschluß an der Vorderseite des Overalls hoch, schnallte den Kinnriemen des Schutzhelms fest, rückte die Atemmaske zurecht und folgte dem Mann, der ihm, wie er hoffte, die Ursache des mysteriösen Massensterbens zeigen
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