Schockwelle
sie ihre Dissertation in aller Ruhe beenden konnte, und so hatte sie alles stehen- und liegenlassen und war an Bord des Kreuzfahrtschiffes
Polar Queen
in Richtung des großen, weißen Kontinents in See gestochen.
Einundneunzig zahlende Passagiere nahmen an dieser Fahrt teil, und Maeve war eine von vier Naturkundlern, die sie bei Landgängen begleiteten. Wegen der Pinguinkolonie, des Friedhofes und der Überreste der alten Walfangstation und des Lagerplatzes, auf dem die norwegischen Forscher umgekommen waren, galt Seymour Island als historische Stätte, die aufgrund ihrer empfindlichen Umwelt besonderen Schutzes bedurfte. Zur Schadensbegrenzung wurden die Passagiere in kleine Gruppen aufgeteilt, die zu verschiedenen Zeiten jeweils rund zwei Stunden über Land geleitet wurden.
Außerdem schärfte man ihnen einen strengen Verhaltenskodex ein.
Sie durften nicht auf Moose oder Flechten treten und sollten sich Vögeln und anderen Tieren nicht weiter als bis auf fünf Meter nähern. Sie durften keinerlei Andenken mitnehmen, nicht einmal einen kleinen Stein. Die Mehrzahl waren Australier, darunter aber auch ein paar Neuseeländer.
Maeve sollte laut Dienstplan die erste Besuchergruppe, zweiundzwanzig Personen, zur Insel begleiten. Sie hakte die Namen auf einer Liste ab, während die aufgeregten Touristen über das Fallreep zu einem Zodiac hinunterstiegen, einem vielseitig verwendbaren Schlauchboot, das einst von Jacques Cousteau entwickelt worden war. Sie wollte gerade hinter dem letzten Passagier hinunterklettern, als Trevor Haynes, der Erste Offizier, sie auf dem Fallreep zurückhielt. Er war ruhig, sah nach Ansicht der meisten Frauen ziemlich gut aus, mischte sich aber ungern unter die Passagiere und ließ sich außerhalb der Brücke selten sehen.
»Sagen Sie Ihren Leuten, sie sollen nicht erschrecken, wenn sie das Schiff davonfahren sehen«, sagte er.
Sie drehte sich um und blickte zu ihm auf. »Wo wollt ihr denn hin?«
»Hundert Meilen weiter draußen zieht ein Sturm auf. Der Kapitän möchte nicht, daß die Passagiere unnötig unter der rauhen See leiden. Aber er will ihnen auch nicht den Spaß verderben und die Landgänge beschneiden. Er hat vor, zwanzig Meilen küstenaufwärts zu fahren und bei der dortigen Seelöwenkolonie eine andere Gruppe abzusetzen. Dann will er zurückkommen, euch auflesen und das Ganze wiederholen.«
»Er läßt also doppelt so viele Leute in der halben Zeit an Land.«
»Darauf läuft’s hinaus. Auf diese Weise haben wir alles unter Dach und Fach und sind bereits in den relativ ruhigen Gewässern der Bransfield-Straße, ehe der Sturm hierherzieht.«
»Ich habe mich schon gefragt, weshalb ihr keinen Anker ausgeworfen habt.« Maeve mochte Haynes. Er war der einzige Schiffsoffizier, der nicht ständig versuchte, sie zu fortgeschrittener Stunde zu einem Drink zu verleiten und hinterher in sein Quartier zu locken. »Ich erwarte euch in zwei Stunden zurück«, sagte sie und winkte ihm zu.
»Falls es Schwierigkeiten geben sollte, haben Sie ja Ihr tragbares Funkgerät.«
Sie griff zu dem kleinen Gerät, das an ihrem Gürtel befestigt war.
»Sie werden’s zuerst erfahren.«
»Grüßen Sie die Pinguine von mir.«
»Mach’ ich.«
Während der
Zodiac
über das Wasser dahinglitt, das glatt und schimmernd wie ein Spiegel dalag, hielt Maeve ihrer kleinen Schar unerschrockener Touristen einen kurzen Vortrag über die Geschichte ihres Bestimmungsortes. »Seymour Island wurde 1842 von James Clark Ross entdeckt. 1859 kamen hier vierzig norwegische Forscher um, die gestrandet waren, als ihr Schiff vom Packeis zermalmt wurde. Wir werden die Stelle besichtigen, an der sie bis zum bitteren Ende aushielten. Von dort aus ist es nur ein kurzes Stück Weg zu der Begräbnisstätte, wo sie ihre letzte Ruhe fanden.«
»Haben sie dort gewohnt?« fragte eine Frau, die hart auf die Achtzig zugehen mußte, und deutete auf mehrere Gebäude, die an einer kleinen Bucht lagen.
»Nein«, antwortete Maeve. »Was Sie dort sehen, sind die Überreste einer verlassenen britischen Walfangstation. Wir werden sie aufsuchen, ehe wir zu einem kurzen Fußmarsch um die Felsspitze aufbrechen, die Sie im Süden sehen. Zur Pinguinkolonie.«
»Lebt auf dieser Insel jemand?« hakte die Frau nach.
»Die Argentinier haben an der Nordspitze der Insel eine Forschungsstation.«
»Wie weit ist die weg?«
Maeve lächelte nachsichtig. »Etwa dreißig Kilometer.« In jeder Gruppe gibt es jemanden, der neugierig ist wie ein
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