Schön scheußlich
Parasitenlarven lassen eine Wirtsschnecke wahnsinnig werden. Sie zwingen sie, in selbstmörderischer Manier die Spitze eines Grashalms zu erklimmen, statt sich im Blattwerk zu verbergen. Einige der eingedrungenen Larven wandern in die Fühler der Schnecke, nehmen lebhafte Farben an und beginnen eine pulsierende Aktivität zu entfalten, durch die die Fühler des unglücklichen Weichtiers in eine recht passable Kopie einer Raupe verwandelt werden, die nunmehr die Aufmerksamkeit eines Vogels erringt. Im Darm des Vogels angelangt, können die Larven heranreifen und sich vermehren.
Die goldene neue Ära der Parasitologie speist sich zum Teil aus den bemerkenswerten Fortschritten bei der Untersuchung des menschlichen Immunsystems. Je mehr Einblicke die Forscher in dessen Komplexität gewannen, desto stärker richtete sich ihr Augenmerk auch auf das breite Spektrum an Parasiten und Pathogenen, zu dessen - mehr oder minder erfolgreicher - Abwehr sich das Immunsystem in der Evolution entwickelt hatte. Alles in allem war und ist der Einfluss von Parasiten auf die menschliche Evolution und das Leben der Menschen von großer Tragweite. Mögen auch die meisten parasitären Erkrankungen unter den Einwohnern der Industrienationen relativ selten geworden sein, so ist doch die Mehrheit der Weltbevölkerung in der Regel mit einer oder mehreren Parasitenarten geschlagen. Einigen Schätzungen zufolge entspricht die Menge des an einem einzigen Tag von Hakenwürmern gesaugten Blutes der Gesamtblutmenge von 1,5 Millionen Menschen. Etwa die Hälfte aller Menschen, die jemals gelebt haben, ist an der von dem mächtigen Einzeller Plasmodium verursachten Malaria gestorben. Das Römische Reich wurde durch Malaria ausgehöhlt, die frühe amerikanische Kolonie Jamestown musste wegen dieser Krankheit dreimal neu aufgebaut werden.
Niemand hat eine genaue Vorstellung davon, wie viele Parasitenarten es gibt, oder gar davon, was einen Parasiten eigentlich ausmacht. Der allgemein verbreiteten Definition zufolge muss ein Parasit die meisten oder alle seiner Nährstoffe und Ressourcen von einer anderen Tier-oder Pflanzenart beziehen, und er muss kleiner sein als sein Wirt. Doch während viele Parasiten wie Viren und Bakterien mikroskopisch klein sind, können manche Würmer im ausgewachsenen Zustand eine Länge von bis zu einem Meter erreichen. In vielen Fällen sind Parasiten für ihren Wirt schädlich, wobei allerdings der Grad der Schädigung stark variiert. Manche Parasiten, beispielsweise viele Viren, lassen die von ihnen infizierten Tiere krank werden und sterben, andere bereiten nur minimale Beschwerden, und wieder andere fallen überhaupt nicht auf. Hier und da findet der Wirt einen Weg, seine Parasiten zur Arbeit zu zwingen; an diesem Punkt wird aus dem Schmarotzer ein Symbiont. Die Bakterien, die unseren Darm bewohnen und uns bei der Verdauung unserer Nahrung helfen, sind ein wohlbekanntes Beispiel für einen willkommenen Parasitenbefall. Der Parasitismus ist eine derart attraktive Möglichkeit, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, dass sich die Mehrzahl der Erdbewohner ihm verschrieben hat. Eine Reihe von Parasiten sind wie die Zecken Generalisten und hüpfen bereitwillig von einem warmblütigen Wesen zum nächsten. Weit mehr aber sind bemerkenswert spezialisiert. Es gibt Milben, die nur im Enddarm einer Riesenschildkröte überleben, oder Würmer, die sich exakt den Federkielen einer ganz bestimmten Vogelart anschmiegen können, oder Milben, die einzig und allein und ohne Schaden anzurichten am Ansatz menschlicher Augenwimpern leben. Die meisten Parasiten tragen darüber hinaus selbst eine Parasitenlast.
Bis vor kurzem untersuchten Parasitologen das Objekt ihrer Forschung in der Regel unter dem Gesichtspunkt ihrer Ausmerzung, doch in jüngster Zeit wendet man sich den Parasiten auch zu, um Antworten auf fundamentale evolutionäre Rätsel zu finden. Eines der größten darunter ist die Frage, warum Sex entstanden ist. Genau genommen ist die sexuelle Fortpflanzung mühsam und unrationell, weit weniger effizient als die Verbreitung vermittels der Herstellung sauberer klonaler Kopien des Mutterorganismus.
Manche einfachen Tiere und Pflanzen vermehren sich asexuell, doch die meisten höheren Arten haben sich für Noahs Version entschieden und müssen Männchen und Weibchen an Bord haben. Und so unvergleichlich Sex in seiner besten Form auch sein mag, seine Allgegenwart gibt doch einigen Anlass zur Verwunderung. Manche Biologen haben die
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