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Schön scheußlich

Schön scheußlich

Titel: Schön scheußlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natalie Angier
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Größe ringen geräuschvoll um das Recht, weiter an der Spitze der Nahrungskette verbleiben zu können - so kurz die Zeit auch sein mag, die ihnen dort beschieden ist.
    Die Wissenschaftler haben auch neue Einblicke in das Paarungsverhalten von Skorpionen gewonnen, deren Affären ohne Zweifel zu den am wenigsten romantischen im gesamten Tierreich gehören. Männchen und Weibchen vollführen einen lang andauernden, gewalttätigen Walzer: vor und zurück, vor und zurück, die Mundwerkzeuge ineinander verbissen, die Scheren ineinander verkeilt, die Schwänze hoch aufgerichtet und immer wieder nach vorn schnellend, wobei das Männchen das Weibchen mehrfach sticht, während Letzteres um sich schlägt, als sei es wütend über das Herumgezerre. In manchen Fällen rächt sich das Weibchen nach vollzogener Kopulation für den Ringkampf an seinem nahezu immer etwas kleineren, leichteren Partner, indem es ihn verspeist. Nicht dass sie das geringste Recht hätte, dermaßen verärgert zu sein: Der ausgedehnte Tanz ist im Lauf der Evolution unter anderem auch deshalb entstanden, damit das Weibchen Stärke, Gewicht und genetischen Wert seines Partners einschätzen kann, bevor es sein Sperma akzeptiert.
    Seit den Tagen des Aristoteles werden die Naturforscher von Skorpionen gefesselt. Doch erst als in den siebziger Jahren ein einfaches Gerät, die tragbare UV-Lampe, verfügbar wurde, ließ sich überhaupt etwas Informatives über diese kleinen Herren der Dunkelheit erfahren; denn eine weitere außergewöhnliche Eigenschaft des Skorpions besteht darin, unter ultraviolettem Licht zu leuchten wie ein psychedelisches Poster.
    Das Außenskelett des Skorpions besteht aus einer widerstandsfähigen Gewebeschicht, die sich anfühlt wie das Material unserer Fingernägel, jedoch aus einer anderen Gerüstsubstanz besteht, die den Namen Chitin trägt. Diese Hülle reflektiert die ultravioletten Strahlen des Mondlichts und anderer Lichtquellen so stark, dass selbst ein schwarzer Skorpion einen grünen oder pinkfarbenen fluoreszierenden Schimmer aufweist. Fossile Skorpione, die vor dreihundert Millionenjahren am Leben gewesen sind, schillern unter UV-Licht noch immer in den schönsten Farben. Vielleicht hat sich das Leuchten in der Evolution entwickelt, um Insekten anzuziehen, die von UV-Licht angelockt werden; vielleicht ist es aber auch nur eine zufällige Nebenerscheinung der chemischen Beschaffenheit von Chitin.
    Welchen Grund es auch haben mag - der unverwechselbare Schein, der noch aus einer Entfernung von fünf bis sechs Metern gut sichtbar ist, macht es leicht, Skorpione bei Nacht zu beobachten, wenn sie hervorkommen, um zu fressen, zu kämpfen, sich zu paaren, ihren Stachel einzusetzen oder einfach an der frischen Luft herumzulungern. Man kann sie aufspüren, fangen, markieren, wieder freilassen und dann erneut fangen, um ihre Stoffwechselrate, ihren Sauerstoffverbrauch und Ähnliches zu bestimmen.
    Durch diese Untersuchungen haben die Spinnenforscher gelernt, dass sich die Skorpione seit ihrer Zeit als Pioniere des Quantensprungs - oder besser Quantenkriechens - vom Wasser aufs Land im Silur, das heißt vor vierhundert Millionen Jahren, kaum verändert haben. Nachdem sie nun einmal gestrandet waren, verbreiteten sie sich sehr weit. Und obwohl man Skorpione in der Regel mit der Wüste in Verbindung bringt, besetzen die sage und schreibe fünfzehnhundert bekannten Arten so ziemlich jede ökologische Nische und die entlegensten Winkel der Welt: Regenwälder, außertropische Wälder, Savannen, Steppen, Los Angeles. Blind kriechen sie eine halbe Meile unter der Erde in Höhlen umher. Winzige Exemplare stecken in den Furchen einer Ananas, kräftige halten sich in 'dreitausend Meter Höhe auf den Hängen des Himalaja. Weitere etwa tausend Arten werden da draußen noch vermutet, harren mit in Stellung gebrachtem Schwanz ihrer glücklichen Entdecker.
    Sämtliche bekannten Arten sind Fleischfresser und mit giftigen Stacheln ausgerüstet, doch nur bei fünfundzwanzig von ihnen ist die Toxinladung groß genug, um einen Menschen zu vergiften. Das Gift befindet sich in einer Drüse auf der Rückseite des Schwanzes, und das Tier kann diesen im Bruchteil einer Sekunde nach vorn schnellen, um sein Opfer zu stechen - in manchen Fällen sogar mehrmals. Das giftige Gebräu enthält bis zu dreißig Neurotoxine, und jedes davon ist für einen anderen Beutetyp besonders fatal. Manche dieser Toxine haben sich als sehr wirksam gegen Insekten erwiesen, andere

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