Schön scheußlich
Vermutung geäußert, Organismen müssten künftigen Generationen eine gewisse Vielfalt sichern, um zu garantieren, dass wenigstens ein Teil ihres Nachwuchses Klimaveränderungen, eine ungewisse Ernährungssituation und andere Umwelteinflüsse übersteht. Eine andere Theorie besagt, dass die Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Jungen in direkte Konkurrenz um Ressourcen geraten, geringer ist, wenn sie sich hinreichend voneinander unterscheiden.
Doch die bei weitem meisten Befunde zur Evolution von Sexualität entstammen dem Studium von Parasiten. Eine durch die sexuelle Reproduktion gewährleistete hinreichend hohe Variabilität unter den Nachkommen erweist sich als ideale Methode, Parasiten auszutricksen, denn diese sehen es am liebsten, wenn der Organismus, den sie als nächsten befallen, genauso aussieht wie der vorangegangene. Der Vorteil sexueller Reproduktion lässt sich an dem ungewöhnlichen Lebenszyklus einer neuseeländischen Wasserschnecke namens Potamopyrgus antipodarum anschaulich machen. Einige der weiblichen Schnecken pflanzen sich sexuell fort, andere asexuell, und ihre Entscheidung für einen der beiden Wege hat nichts mit ihrer Libido zu tun. Wissenschaftler haben bei der Untersuchung von fünfundsechzig Schneckenpopulationen eine starke Korrelation zwischen der Art der Fortpflanzung und dem Auftreten des schlimmsten Schneckenschädlings, eines Nematoden, gefunden. In Seen mit einer geringen Parasitenbelastung gab es wenige Männchen, und die Weibchen pflanzten sich asexuell fort. In Seen mit einem hohen Nematodenbestand gab es jede Menge Männchen und Weibchen, was die Vermutung nahe legt, dass die Weibchen zur Fortpflanzung Männchen beanspruchten, die ihnen resistentere Nachkommen zeugten.
Eine weitere Entdeckung ist, dass manche Parasiten die geschlechtliche Fortpflanzung bei ihren Wirten als derartig unliebsam empfinden, dass sie sie mit allen Mitteln unterdrücken. Bei manchen Grasarten, die sich sowohl sexuell über ihre Blüten fortpflanzen können als auch asexuell, indem sie die eigenen Kopien als Schösslinge sprießen lassen, ist der sie bewohnende parasitische Pilz strikt gegen jede Form von genetischer Variabilität. Wenn er die Pflanze infiziert, nimmt er als Erstes Kurs·auf die Geschlechtszellen der Pflanze und zerstört diese; im Übrigen lässt er seinen Wirt ungeschoren. Das befallene Gras kann hinfort nur noch Sprösslinge hervorbringen, die sich genetisch ähneln wie ein Ei dem anderen und damit gegenüber einer Pilzinfektion alle gleich verwundbar sind.
In einem anderen Fall, der einige Ähnlichkeit aufweist zu der Story des Films Invasion der Körperfresser, befällt ein Pilz eine nelkenverwandte Blütenpflanze und sterilisiert diese nicht nur, sondern verwandelt deren Blüte obendrein in eine Pilzfabrik. Eine infizierte Pflanze enthält in ihren Staubgefäßen, in denen sich eigentlich die Pollen befinden sollten, eine Unmenge Pilzsporen. Um die Perversion auf die Spitze zu treiben, veranlasst der Pilz seinen pflanzlichen Wirt überdies, größere und spektakulärere Blüten zu treiben als normale Pflanzen und so bestäubende Insekten anzuziehen, die die Verbreitung der Parasitensporen sicherstellen.
Parasiten befallen die Reisenden nicht weniger als die Sesshaften, und in ihrer Reaktion auf die Infektion werden diese häufig noch wanderlustiger. Der Rotfleckenmolch in den Bergseen West Virginias beispielsweise beherbergt einen Parasiten, der dem Erreger der afrikanischen Schlafkrankheit beim Menschen stark ähnelt. Dieser Parasit aber scheint seinen Wirt kaum zu schädigen, und dieser glückliche Umstand ist auf die Wanderfreude des Schwanzlurchs zurückzuführen. Zu der Zeit, wenn der Molch einen infektiöseren Parasitenstamm an seine Mitmolche weitergeben könnte, verbringen diese Tiere Monate damit, allein durch die Wälder zu streifen, statt sich in irgendwelchen Tümpeln zu treffen. Molche, die den bösartigen Parasiten in sich tragen, sterben während ihrer Wanderung, und nur diejenigen, in denen ein weniger infektiöser Stamm des Parasiten regiert, kehren zur Paarungszeit zum Wasser zurück.
Auf gleiche Weise weichen Vögel, die von Nord-nach Südamerika ziehen, unter Umständen nicht nur dem schlechten Wetter aus. Während ihres neunmonatigen Aufenthalts im Süden pflanzen sich die Tiere nicht fort und sind einander auch sonst nicht übermäßig nahe, was die Chance ihrer Schädlinge, vom einen Gefieder zum nächsten springen zu können, drastisch
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