Schön scheußlich
lernen können, das Fingertier als liebenswert statt als unnennbar zu betrachten, bleibt Anlass zu besorgten Fragen.
24.
Fische wie Sand am Meer
Die Verabredung ist ein Flop, und beide Seiten wissen es. Doch wenn sie nun schon einmal zusammen sind, unternehmen sie eben einen müden Versuch zu flirten. Er geht träge auf sie los; sie zeigt als Reaktion ein zartes Beben. Er schlägt mit seiner Schwanzflosse nach ihr; sie bläht ihre Kiemen und präsentiert ihm deren aufreizend rote Unterseite. Er dreht Kreise, fordert sie erneut auf und versucht, an ihr zu knabbern, aber sie hat nun genug von dem Theater und schwimmt davon. Auch er sieht keinen Grund, die Sache weiter fortzuführen, und schwimmt zur entgegengesetzten Seite des Aquariums. Ein paar Augenblicke lang verlieren sich beide in die unergründliche Weite ihrer Fischgedanken. Und dann passiert es. Das Weibchen öffnet seine vollen, sinnlich geschwungenen Lippen zur weitesten, perfektesten und unhöflichsten Maulöffnung, die man sich vorstellen kann: zu einem herzhaften Fischgähnen.
»Sie scheint nicht übermäßig interessiert zu sein, oder?«, fragt mich die Doktorandin Suzanne Henson mit einer winzigen Spur von Ironie. Ihren Stift hat sie fest auf die Seiten ihres Protokollbuchs gerichtet, bereit, das Verhalten der Fische minutiös festzuhalten. Doch der Stift bewegt sich nicht, denn sie sieht nichts, was des Festhaltens wert wäre.
Das könnte anders sein. Die Fische vor unseren Augen sind Buntbarsche aus der Art Cichlasoma citrinellum und eigentlich bekannt für ihre heftigen, brutalen Paarungstänze, die hart an der Grenze zur Sadomaso-Pornografie liegen. Wenn das Weibchen erregt ist, gleitet es mit seinem Körper an dem des Männchens entlang. Die Genitalien des Weibchens schwellen an, und sein Körper füllt sich prall mit Eiern. Was den Herrn der Schöpfung betrifft, so ist das erregte Männchen ein gewalttätiger Liebhaber. Es peitscht das Weibchen mit seiner Schwanzflosse und beißt es so fest, dass man es knirschen hört. Immer wieder geht es auf das Weibchen los und beißt zu. Das Weibchen gleitet wieder dahin und lässt seine rosigen Kiemen sehen.
Das zumindest spielt sich ab, wenn es in der Buntbarschliebe zur Sache geht. Aber nicht jetzt und nicht mit diesen beiden Schlafmützen. Ihr verunglückter Flirt ist beendet, und jeder wird in sein eigenes Aquarium zurückgesetzt.
Die Untersuchung, der ich hier beiwohnen durfte, ist Teil einer größeren Studie der University of California in Berkeley, die sich mit der Partnerwahl und dem Verhalten dieses Buntbarschs beschäftigt - einem stämmigen, robusten Fisch aus Nicaragua mit kräftigen Kiefern, der in zwei Farbmustern vorkommt, gestreift oder golden, wobei Letzteres der Art ihren Namen gab. Wie viele andere Buntbarsche gehören auch die Mitglieder der Gattung Cichlasoma zu den Arten, die sich verheiraten. Sie gehen Partnerschaften ein, die so lange halten, wie die Fische überdauern, und die Wissenschaftler in Berkeley interessiert die Frage, was einen Buntbarsch dazu veranlasst, einen bestimmten Partner einem anderen vorzuziehen.
Die Frage ist Teil einer breiteren Betrachtung zum Sexual-, Sozial- und Fressverhalten von Buntbarschen, einer Fischfamilie von ungeheurer Vielfalt. Man hofft, dass deren Merkmale Einblicke in die ewigen Rätsel der Artentstehung und der Entstehung von Vielfalt aus Einförmigkeit vermitteln können.
Über tausend Cichlidenarten gibt es in den Seen Afrikas, Madagaskars, Indiens und Südamerikas. Sie sind eine überaus erfolgreiche Familie und dominieren in vielen Fällen ihre Umgebung durch eine Mischung aus Intelligenz - die bei ihnen im Vergleich zu anderen Fischen ungewöhnlich hoch ist, wie man sagt - und beeindruckenden Ritualen der Brutpflege. Doch was sie so ungewöhnlich macht, ist die große Zahl von Arten, die in derselben Nische leben können. Im südostafrikanischen Malawisee leben über fünfhundert Arten, im tansanischen Tanganjikasee zweihundert weitere. Manche Arten erreichen Ziegengröße, andere passen in einen Fingerhut. Manche sind dick und kofferförmig, andere rank und schlank. Ihre Farben reichen von Braun bis Türkis und decken manchmal auf einem einzigen Tier sämtliche Schattierungen eines neonfarbenen Regenbogens ab.
Die Artentstehung zeigt bei den Buntbarschen einen explosionsartigen Verlauf. Im ostafrikanischen Viktoriasee sind beispielsweise in weniger als zweihunderttausend Jahren dreihundert Arten aus einem einzigen
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