Schön scheußlich
Bedingungen begünstigt, aus denen eine Rasse tierischer Amazonen hervorgegangen ist. Das aber wirft ein weiteres Rätsel auf: Männliche Zudringlichkeit ist für die Weibchen vieler Arten ein Problem; weshalb haben sich dann nicht mehr von ihnen die Erfahrungen der Hyänen zum Vorbild genommen und gelernt, härter zurückzuschlagen?
23.
Der gefährdetste Primat der Welt
Das Fingertier oder Aye-Aye ist ein Geschöpf, das sich nur beschreiben lässt, indem man es Stück für Stück mit anderen Dingen und Tieren vergleicht: Es hat die Größe einer Katze, die Ohren einer Fledermaus, die Schnauze einer Ratte, einen Schwanz wie ein Hexenbesen und einen langen, knochigen Mittelfinger, der sich an der Hand eben jener Hexe prächtig machen würde. Seine Zähne sind so stark wie die eines Bibers, und seine Augen stehen hervor wie bei einem Frosch. Und wenn ein Fingertierbaby schreit, dann klingt es wie eine quietschende Badewannenente - vor allem wenn es von einer Besucherin, die bemüht ist, einerseits dem kleinen Geschöpf nicht wehzutun und andererseits Schaden von sich selbst abzuwenden, so ungeschickt gehalten wird.
Schließlich war. dies das erste Fingertier, das außerhalb seiner natürlichen Heimat Madagaskar in Gefangenschaft geboren worden ist, und diese Geburt signalisiert möglicherweise eine gravierende Wende im Schicksal dieses Tieres, das man lange Zeit für den am meisten gefährdeten Primaten der Welt gehalten hatte. Es war eine große Ehre für mich, das drei Wochen alte Jungtier auf den Arm nehmen zu dürfen und sein raues Fell, seine bebenden, gegen jede Berührung protestierenden Muskeln und sein kleines vor Angst und Zorn pochendes Herz zu spüren.
Die Forscher am Primatenzentrum der Duke University erzählten überaus plastisch von den zahllosen Versuchen des Jungen, seine wohlmeinenden Zieheltern zu beißen, und davon, dass die Zähne eines Aye-Ayes imstande sind, in Sekundenschnelle eine Kokosnuss zu köpfen. Als das knapp ein drei Viertel Pfund schwere Wesen schließlich einen schrillen Schrei ausstieß und sich verdächtig hin und her wand, konnte ich mich der blitzartigen Überlegung nicht erwehren, ob der kleine Schatz wohl großen Schaden nehmen würde, wenn ich ihn jetzt einfach auf den Boden fallen ließe. Und als dann der Leiter des Zentrums, der Primatologe Elwyn L. Simons, beschloss, dass es nunmehr an der Zeit sei, das kleine Wesen seiner Mutter zurückzugeben, konnte ich nur zustimmend nicken und das Tierchen eilfertig in seine Hände übergeben, als handle es sich um ein Baby, dessen Windeln dringend zu wechseln wären.
Simons ist von rundlicher Statur, spricht bedächtig, schreitet mit der Ruhe eines Panters einher und kann mit kolossaler Genauigkeit die Verhaltensweisen der gefährdeten Primatenarten in seiner Obhut nachahmen. »Schauen Sie her, schauen Sie, so trinkt ein Aye-Aye«, ruft er, während er mit seinem Finger immer wieder vor-und zurückschnellt, aus einer imaginären Kokosnuss imaginäre Kokosmilch in seinen Mund schöpft und demonstrativ dabei schlürft. Wenn er in eine Banane beißt, grinst er verschlagen und ist sich des Bildes, das er soeben abgibt, voll bewusst.
Seine kleinen Albereien aber tun seinem würdevollen Wesen und der Ernsthaftigkeit seines Anliegens keinerlei Abbruch. Simons und andere Wissenschaftler an verschiedenen Zoos und Universitäten ringen darum, das Aye-Aye und andere Lemuren vor der Ausrottung zu bewahren. Die heute lebenden dreißig Lemurenarten sind in ihrem Vorkommen nahezu ausnahmslos auf Madagaskar beschränkt. Da die Wälder dieser Insel vor der afrikanischen Ostküste schwinden, teils schon geschwunden sind, weil die verarmte und rasch anwachsende Bevölkerung sie dort für ihr eigenes Überleben rodet und abbrennt, gelten alle dreißig Arten als gefährdet. Zu den verzweifelten Anstrengungen, die Lemuren vor dem Abgrund zu retten, gehört auch ihre Zucht in Gefangenschaft. Man hofft, so wenigstens einige von ihnen in den Nationalparks und Reservaten Madagaskars wieder auswildern zu können und auf diese Weise unter anderem das Wachstum der Ökotourismus-Branche auf der Insel zu fördern - ein Ansatz übrigens, der in verschiedenen Teilen Afrikas und Lateinamerikas überraschend gut funktioniert hat. Man hofft auch, nebenbei alles Erdenkliche über die Bedürfnisse, Gewohnheiten, Balzrituale und die Ernährung der Lemuren sowie alles Mögliche andere zu lernen, was den Tieren die Chancen auf ein Überleben in Freiheit
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