Schön scheußlich
Vorläufer entstanden, ein evolutionärer Laufschritt, mit dem keine andere Tiergruppe konkurrieren kann. Mit Sicherheit hat keine der anderen Fischgruppen, die die drei afrikanischen Seen bevölkern, etwas vorzuweisen, was an diese spektakuläre Diversifikation heranreicht, wie sie die Cichlidenfamilie bewerkstelligt hat.
Die Wissenschaft war von diesen Fischen bereits seit langem fasziniert, sah man in ihnen doch eine weit bessere Gelegenheit, wichtige Evolutionsmuster zu ergründen, als in der anderen Familie von berühmt gewordener Vielfalt: den Darwinfinken. Ein Großteil dieser Forschung gründet sich auf traditionelle taxonomische Ansätze und Beobachtungsmethoden, das heißt, man stuft eine Fischart anhand ihrer Anatomie und ihres Verhaltens ein. In jüngster Zeit haben sich die Biologen in ihren Untersuchungen auch molekularen Analysen zugewandt und gehen der Herkunft und Aufspaltung von Cichlidenarten nach, indem sie die DNS der Fische analysieren. Der genetische Ansatz hat die taxonomischen Ergebnisse der Vergangenheit bestätigt: Buntbarsche sind monophyletisch, das heißt, sie stammen sämtlich von einem gemeinsamen urtümlichen Ahnenfisch ab, der vor vielleicht hundertzwanzig Millionen Jahren gelebt hat, als Indien, Afrika und Südamerika noch einen einzigen großen Kontinent bildeten. Seit dem Auseinanderdriften dieses Kontinents sind die Gründerfische, die in verschiedene Regionen der Erde verstreut wurden, getrennte Wege gegangen und haben sich in allen Fällen vermittels unterschiedlicher genetischer Mechanismen zu verschiedenen Arten rasch entwickelt und von einem See oder Fluss zum nächsten verbreitet.
In manchen Fällen erweisen sich Arten, die sich in Aussehen und Verhalten radikal unterscheiden, als genetisch nahezu identisch. Eine genetische Studie befasste sich mit der DNS-Analyse von vierzehn Buntbarscharten aus dem Viktoriasee, die ein extrem unterschiedliches Fressverhalten an den Tag legten: Da gab es einen, der Schnecken vertilgte, ein anderer lebte von seinen Buntbarschkollegen, ein dritter fraß nur die Augen anderer Buntbarsche, und wieder einer saugte Cichlidenbrut aus dem schützenden Maul der Eltern. Doch trotz der so unterschiedlichen Geschmäcker dieser Fische unterschieden sich ihre Gene lediglich um zwei bis drei von den vielen tausend Basenpaaren, aus denen das untersuchte Erbgut besteht. Die genetische Variabilität unter einzelnen Menschen ist höher als die unter diesen vierzehn Fischarten - und, vergessen Sie nicht, Menschen gehören allesamt nur einer einzigen Art an.
Solche Befunde legen den Verdacht nahe, dass die Buntbarschfamilie einen Großteil des Erfolges einem ungewöhnlich hohen Grad an genetischer Flexibilität verdankt, die durch winzige Gen-Änderungen eine unglaubliche Bandbreite an Anpassungen möglich macht. Und es ist die Fähigkeit der Buntbarsche zur Spezialisierung, durch die sich erklärt, wie in einem einzigen Gewässer so viele Arten Wange an Kieme leben können, sodass jedem von ihnen noch genug zum Leben bleibt. Wären alle Buntbarsche Algenabweider am Grund des Sees, würde eine Art mit der anderen konkurrieren, und eine von beiden müsste am Ende den Kürzeren ziehen. Doch jeder Buntbarsch hat seine eigene Jagdmethode entwickelt, und eine Strategie ist abenteuerlicher als die andere. Ein Buntbarsch ähnelt zum Beispiel einem verwesenden Fisch und verbringt einen Großteil seiner Zeit damit, wie tot im Wasser zu treiben. Doch wenn sich ein anderer Fisch nähert und glaubt, eine leicht verdiente Mahlzeit vor sich zu haben, kommt Leben in den Kadaver, und er greift den Möchtegernräuber an.
Im Tanganjikasee lebt ein Buntbarsch mit permanent nach links gewendetem Kopf. Diese Anpassung ermöglicht es ihm, mit den Zähnen eine rasche Schuppenmahlzeit vom Körper eines vorbeischwimmenden Fischs zu schaben. Eine andere Art trägt den Kopf nach rechts gewandt, um passierende Fische steuerbords zu rasieren. Die Buntbarsche stellen die weit verbreitete Vorstellung auf den Kopf, dass es zahllose Nischen gibt, die darauf warten, besetzt zu werden. Sie gehen den Weg des erfolgreichen Unternehmers und schaffen sich ihre Nischen selbst.
Die meisten Wissenschaftler sind der Ansicht, dass die Buntbarsche der afrikanischen Seen ursprünglich Generalisten waren, die zu Spezialisten wurden, als der Konkurrenzdruck zunahm. Wie sie es geschafft haben, so rasch eine so große Vielfalt zu erreichen, bleibt den Ichthyologen nach wie vor ein Rätsel, doch sicher
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