Schön scheußlich
harte Zeiten und magere Tage überstehen - näher zu kommen, wenn sie verstehen, warum ein Tier dem Nichtstun frönt. Wie ein Zeitanalytiker sich ausdrückte: »Früher galt mein Interesse der Bewegung, dem Jagd- und Paarungsverhalten, heute frage ich mich, warum ein Tier stillsitzt.«
Tiere geben ihren Erforschern in der Tat eine Menge Anlass zum Grübeln. Diejenigen, die die Löwen der Serengeti die letzten zwanzig Jahre hindurch erforscht haben, behaupten, fast die ganze Zeit über nur lohfarbene Fellberge durch ihre Ferngläser angestarrt zu haben; die kollektive Untätigkeit der stolzen Tiere wurde allenfalls durch das gelegentliche Zucken eines Ohres unterbrochen. Löwen können bis zu zwölf Stunden am Stück regungslos auf einem Fleck verharren. Aktiv auf den Beinen sind sie vielleicht zwei bis drei Stunden am Tag. Während dieses kurzen Ausbruchs von Arbeitswut jagen sie für gewöhnlich oder tun sich am Ertrag der letzten Jagd gütlich, was wiederum einer der Gründe dafür ist, dass sie so lange Auszeiten benötigen. Ein Löwe kann auf einen Schlag riesige Mengen Fleisch, manchmal bis zu siebzig Pfund, vertilgen. Sein Magen dehnt sich zu solcher Größe aus, dass der mächtige König der Wüste sich am Ende seines Mahls nur noch mit Mühe und Not in den Schatten des nächsten Baumes schleppen kann, wo er sich ermattet hinwirft und mit dem Bauch nach oben in ein Verdauungsschläfchen verfällt, das man korrekter als Koma bezeichnen sollte.
Affen gelten in der Regel als die unermüdlichen Akrobaten der Natur, doch viele Arten sitzen mehr als drei Viertel des Tages herum - von den zwölf Stunden, die sie pro Nacht schlafend verbringen, gar nicht zu reden. Ein paar Primatologen, die sich mit brasilianischen Spinnenaffen befassten, amüsierten sich nicht schlecht über deren laxe Lebensgewohnheiten.. Eines Morgens stand das Team weit vor Morgengrauen auf, um ab etwa sieben Uhr früh - um diese Zeit würden die Affen mit ihrer Jagd beginnen, so nahm man an - auf einem entfernter gelegenen Beobachtungsposten bereitstehen zu können. Die Wissenschaftler trafen rechtzeitig ein und warteten darauf, dass das Spektakel beginne. Die Wissenschaftler warteten und warteten. Sie kritzelten Männchen in ihre Notizbücher und fragten sich müßig, ob die Affen am Abend zuvor womöglich zu viele Kokablätter gekaut hatten. Um elf Uhr schliefen die Affen immer noch, und die Forscher nickten ebenfalls ein.
Kolibris sind die lebhaftesten und energieintensivsten Flieger der Welt - wenn sie denn fliegen. Diese Vögel verbringen achtzig Prozent des Tages regungslos zusammengekauert auf einem Zweig; bei Nacht schlafen sie.
Biber gelten so einmütig als höchst geschäftige Wesen, dass ihr Name geradezu ein' Synonym für Fleiß und Arbeit geworden ist. Doch die Biber tauchen aus dem sicheren Hafen ihres Baus nur etwa fünf Stunden täglich auf, um Futter zu suchen oder ihren Damm zu flicken, und das noch mit etlichen Pausen. Sogar zu Zeiten, in denen man sie für höchst aktiv hält, ziehen sie sich in ihre Behausung zurück, um zu ruhen. Die Krötenfrösche in den Wüsten des amerikanischen Südwestens graben sich einen Meter tief ein und rühren sich manchmal elf Monate im Jahr überhaupt nicht. Während dieser Zeit fressen und trinken sie nicht; sie scheiden dann keinen Kot aus und halten, um Energie zu sparen, ihren Stoffwechsel auf einer Rate von etwa einem Fünftel dessen, was sie in jenem einzigen aktiven Monat umsetzen. Wenn Sie beim Graben in Ihrem Kakteengarten auf eines dieser schlafenden Amphibien stoßen, können Sie es wie einen Stein oder eine Kartoffel auf Ihren Spaten nehmen.
Sogar die emsigen Bienen und Ameisenarbeiterinnen von legendärem Ruf, denen bereits Äsop ein literarisches Denkmal setzte, widmen nur etwa ein Zwanzigstel ihres Tages ernsthaften Arbeiten wie der Suche nach Nektar oder der Reinigung des Nests. Im Übrigen sitzen diese Insekten still herum, als hätten sie ihren Arbeitsplan verlegt und scherten sich einen Dreck darum. Der Mythos von dem nimmermüden sozialen Insekt entstand vermutlich aus der Betrachtung ganzer Ameisenhaufen oder Bienenstöcke, kleiner Galaxien von pausenloser Aktivität. Doch nun, da die Wissenschaftler gelernt haben, einzelne Insekten mit Markierungen zu versehen, um zu verfolgen, was diese von einem Augenblick zum nächsten anstellen, entdecken sie, dass eine einzelne Biene oder Ameise jede Menge Freizeit hat.
Biologen, die Tiere im Zustand der Ruhe untersuchen, machen
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