Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schön scheußlich

Schön scheußlich

Titel: Schön scheußlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natalie Angier
Vom Netzwerk:
sich ausgeklügelte mathematische Modelle zunutze, die denen ähneln, die von Ökonomen eingesetzt werden und in denen die energetischen Bedürfnisse des Tieres, seine Fortpflanzungsrate, die relative Häufigkeit und Lage von Wasser und Nahrung, Klimafaktoren und andere Parameter berücksichtigt werden. Sie führen ausführliche Kosten-Nutzen-Analysen durch und stellen Fragen wie zum Beispiel: Wie hoch sind die Kosten der Jagd, und in welchem Verhältnis stehen sie zu den möglicherweise zu ergatternden Kalorien? Zu einer solchen Kalkulation gehört nicht nur ein Maß dafür, wie viele Kalorien ein Tier bei seiner Herumstreunerei im Vergleich zum Ruhezustand verbraucht, sondern auch eine Betrachtung dessen, wie warm ihm etwa durch die Bewegung wird und wie viel seines eingelagerten Wassers es verdunsten muss, um seinen Körper zu kühlen. Wenn sie mit ihrer Rechnung durch sind, bekunden die Wissenschaftler den Tieren in der Regel ihren Respekt für deren Entscheidung, es ruhig angehen zu lassen.
    Manche Leute verwahren sich heftig gegen die Verwendung des Begriffs Faulheit zur Beschreibung tierischen Verhaltens. Sie sagen, dieser beinhalte den unausgesprochenen Vorwurf, dass das Tier sich absichtlich vor einer Tätigkeit drücke, die ihm, würde es sie ausführen, sein Los erleichtern könnte. Tiere sind müßig, weil sie dies sein müssen. Der Elch muss sich als Wiederkäuer ziemlich ruhig verhalten, damit sein vierkammeriger Magen seine ballaststofflastige Ernährung aus Blättern, Stängeln und Gräsern verwerten kann. Jede Stunde Grasen beschert ihm vier Stunden Verdauung. Und es gibt noch andere Gründe für ihn, übereifrige Aktivitäten zu meiden. Ein Elch ist riesig, und wenn er im Gebüsch herumschnobert, gerät er ganz schön in Schweiß. Würde er sich über ein vernünftiges Maß hinaus bewegen, sodass seine Körpertemperatur bis nahe an ihr Maximum anstiege, wäre er in ernstlicher Gefahr, falls plötzlich ein Räuber auftauchen sollte. Seine Flucht würde die Körpertemperatur über die kritische Grenze hinaus ansteigen lassen, und der Elch würde an einem Hitzschlag sterben - unverhofftes Glück für seinen Verfolger.
    Forscher, die sich mit dem Verhalten von Kolibris beschäftigen, kommen zu dem Schluss, dass auch diese winzigen Vögel ein gutes Recht auf häufige Pausen haben. Um in der Luft auf der Stelle zu schwirren und dabei aus langstieligen Blüten zu trinken, muss ein Kolibri sechzig Mal in der Sekunde mit seinen Flügeln ein kompliziertes Achtermuster schlagen. Der Preis für diesen Flug ließe selbst die NASA verstummen. Kolibris verbrennen dabei pro Gramm Körpergewicht mehr Kalorien an Brennstoff, als je bei einer anderen sportlichen Aktion eines Tieres gemessen wurde. Fliegen ist derart zehrend, dass viele Kolibris und auch deren afrikanische Gegenstücke, die Nektarvögel, gut daran tun, im Prinzip bewegungslos zu verharren, außer wenn die erreichbare Nahrung wirklich sehr nahrhaft ist. Um zum Essen nicht immer allzu weit von zu Hause fort zu müssen, suchen die Nektarvögel sich ein Revier, in dessen Grenzen sie bleiben und darauf warten, dass die Blüten schwer von Nektar werden.
    Für manche Geschöpfe birgt die Unbeweglichkeit so viele Vorzüge, dass sie in ihrer Regungslosigkeit etwas Buddhahaftes bekommen. Der Fransenzehenleguan in den Wüsten des amerikanischen Südwestens liegt stundenlang regungslos im Sand vergraben. Oberhalb der Sandoberfläche ist von ihm außer seinen beiden Augen nichts zu sehen. Wenn sich der Sand erwärmt, kommt Leben in den Leguan. Die Sonne lädt ihn sozusagen auf, damit er auf jedes vorüberkrabbelnde essbare Insekt losschießen kann. Sollte er stattdessen eine räuberische Schlange nahen sehen, kann er auch seinen eigenen Beinahetod herbeiführen, indem er seine Atmung vorübergehend unterdrückt und seinen Herzschlag anhält. Und schließlich schränkt der in seine Sandbettdecke gehüllte Leguan auch seinen Wasserverlust ein, der für Wüstengeschöpfe eine permanente Bedrohung darstellt.
    An einem unwirtlichen Ort wie der Wüste verbringen die meisten Tiere einen Großteil ihrer Zeit damit, auf Wasser und Abkühlung zu warten. Jene Krötenfrösche des Südwestens kommen nur im Juli zum Vorschein, wenn die alljährlichen Regenfälle Insekten mitbringen, von denen sie sich ernähren können. Männchen und Weibchen kommen zusammen und paaren sich gleich in der ersten Nacht nach ihrem Erwachen aus ihrem versteinerten Dasein und beginnen, so viel zu

Weitere Kostenlose Bücher