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Schön scheußlich

Schön scheußlich

Titel: Schön scheußlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natalie Angier
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Bestandteil von Obst oder Gemüse in langfristigen Untersuchungen am Menschen als probates Mittel zur Verhütung oder Eindämmung malignen Wachstums erwiesen. Nichtsdestotrotz können wir uns dadurch ermutigt (oder verstimmt) fühlen, dass die Laborergebnisse in seltenem Einklang mit Erkenntnissen aus empirischen Untersuchungen an langlebigen Populationen stehen.
    Gerade als die Forscher dachten, sie hätten ein einigermaßen vernünftiges Verständnis der grundlegenden, gegen Krebs wirksamen Verbindungen gewonnen, die sich in einer gesunden Ernährung finden, tat sich eine neue Möglichkeit auf, wie bestimmte Inhaltsstoffe von Pflanzen dazu beitragen können, der Krankheit einen Strich durch die Rechnung zu machen. Wissenschaftler von der Universitätskinderklinik in Heidelberg haben unlängst aus dem Urin von Personen, die sich mit einer an Sojabohnen und Gemüse reichen traditionellen japanischen Kost ernähren, eine Verbindung namens Genistein isoliert. In Experimenten mit einer synthetischen Version der Substanz an Geweben in der Petrischale zeigten sie, dass Genistein einen Prozess blockiert, den man als Angiogenese (Wachstum neuer Blutgefäße) bezeichnet.
    Diese Fähigkeit kann wichtige Konsequenzen für die Verhütung und Behandlung vieler Arten von Tumoren - darunter bösartige Veränderungen in Brust, Prostata und Gehirn haben. Wenn ein Tumor größer werden soll als einen oder zwei Millimeter im Durchmesser, dann muss er zunächst dafür sorgen, dass um ihn herum genügend neue Blutgefäße wachsen. Sobald er ausreichend mit Gefäßen versorgt ist, erhält der Tumor die für sein weiteres Wachstum notwendigen Mengen an Sauerstoff und Nährstoffen, und letzten Endes dringt er selbst in das Blut-und Lymphsystem ein und sät seine tödlichen metastatischen Kolonien im übrigen Körper aus. Indem es das Kapillarwachstum hemmt, könnte Genistein entstehende Tumoren daran hindern, über harmlose Dimensionen hinauszuwachsen.
    Genistein findet sich in hohen Konzentrationen in Sojabohnen und in etwas geringerer Konzentration auch in anderen Hülsenfrüchten. Bei Menschen, die sich von traditioneller japanischer Kost ernähren, liegt der Genisteinspiegel im Urin um das Dreißigfache über dem eines Angehörigen der westlichen Zivilisation. Die andersartige Ernährung könnte eine Erklärung dafür liefern, warum beispielsweise die Prostatakrebsrate bei japanischen Männern, die ihr Land für ein paar Jahre verlassen, um in den Vereinigten Staaten oder in Europa zu arbeiten, sprunghaft ansteigt. Winzige Prostatatumoren, die womöglich durch den täglichen Verzehr von Miso-Suppe in Schach gehalten wurden, sehen sich plötzlich in der Lage, nach Belieben zu wachsen, wenn die Männer sich einer westlichen, genisteinarmen Ernährung zuwenden. Wenn Genistein in Tierversuchen und kontrollierten klinischen Studien hält, was es verspricht, wird diese Verbindung sich womöglich gleichermaßen als Diätmaßnahme zur Krebsvorbeugung und in konzentrierter Form zur Behandlung von bereits wachsenden Tumoren als nützlich erweisen.
    Die Hemmung der Angiogenese wird als ideale Therapieform gewertet, als eine Möglichkeit, bösartige Veränderungen anzugreifen, während man normales Gewebe ungeschoren lässt. Außer um den verderblichen Bedürfnissen wachsender Tumoren nachzukommen, werden Blutgefäße im Körper nämlich nur nach äußerst seltenen Ereignissen wie schweren Verletzungen, Herzinfarkten oder der Einnistung eines Embryos in die Uterusschleimhaut gebildet. Eine Verbindung, die die Angiogenese stört, hätte damit nur wenige Nebenwirkungen.
    So ermutigend der Nachweis von krebshemmenden Wirkstoffen in Nahrungsmitteln auch sein mag, die Wissenschaftler geben zu, dass das Gebiet der Lebensmittelanalytik diesbezüglich noch in den Kinderschuhen steckt. Nahrungsmittel sind in chemischer Hinsicht erschreckend kompliziert -  jeder Stängel Broccoli, jedes Stück Melone besteht aus Hunderten, wenn nicht gar Tausenden einzelner, miteinander in Wechselwirkung stehender Chemikalien. Manche pflanzlichen Produkte enthalten natürliche Toxine, die Krebs fördern, und gleichzeitig solche, die der Krankheit entgegenwirken. Herauszufinden, welche Sorte von Substanzen in einem bestimmten Lebensmittel vorherrscht, kann sehr schwierig sein. Neben seinen immanenten Schwierigkeiten ist der von fanatischen Vitaminpräparat-Anhängern, nach ewiger Jugend Suchenden, strikten Veganern, maßlosen Vollkornfreunden und Ähnlichem bevölkerte

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