Schön tot: Ein Wien-Krimi (German Edition)
nicht an die große Glocke gehängt.“
Ich wollte mich um diese Uhrzeit nicht mehr mit ihm streiten. Gab ihm zu verstehen, dass ich ihm kein Wort glaubte, und ging ins Bad.
Ich konnte mich mittlerweile fast wieder schmerzfrei bewegen. Anscheinend war es doch kein richtiger Hexenschuss gewesen.
Als ich zu Bett ging, saß Orlando vor meinem PC und sah sich Schwulenpornos an. Ich bat ihn, den PC auszuschalten und seinen Saustall im Bad zu beseitigen. Seinen Protest überhörte ich geflissentlich.
Bevor er wieder seine Perücke zu bürsten beginnen würde, machte ich das Licht aus. Ich war kaum eingeschlafen, als mich das Klingeln meines Telefons weckte. Ängstlich hob ich ab, befürchtete ich bei nächtlichen Anrufen doch immer, dass meinem Großvater etwas passiert sein könnte.
Es meldete sich niemand. Ich legte auf, ging wieder ins Bett.
Ein paar Minuten später klingelte es erneut. Dieses Mal legte der Anrufer erst nach einigen Sekunden auf. Ich hörte das Klicken.
„Kannst du deinen Lovern nicht beibringen, zu christlicheren Zeiten anzurufen?“, meckerte Orlando, als es kurz danach ein drittes Mal läutete.
„Heb du ab“, sagte ich zu ihm. „Vielleicht ist es irgendein Spinner.“
Orlando traf keine Anstalten aufzustehen.
Ich konnte nach diesen Anrufen nicht einschlafen. Versuchte es mit autogenem Training. Scheiterte erbärmlich. Erst als ich mir mein Treffen mit Dr. Mader in Erinnerung rief und mir die nächste Sitzung und vieles mehr mit ihm ausmalte, entspannte ich mich endlich.
3. Akt
11
Obwohl ich ziemlich übernächtig war, sprang ich um halb sieben Uhr früh aus dem Bett, schlüpfte in meine Jeans und zog einen schwarzen Sweater an.
Ganz sanft berührte ich Orlandos Schulter: „Orlando, schläfst du?“
„Jetzt nicht mehr.“
„Ich bin in einer Stunde zurück und bring Frühstück mit. Hau ja nicht wieder ab.“
„Ich will aber jetzt Kaffee“, murmelte er verschlafen.
Wir tranken den Kaffee im Stehen, draußen auf meiner Terrasse. Was für ein wunderschöner Morgen! Lebhaftes Vogelgezwitscher und ein warmer, sanfter Wind kündigten den Frühling an.
„Jetzt weiß ich, warum du diese Wohnung genommen hast, obwohl sie eigentlich zu klein ist. Vor allem für zwei.“
Ich unterließ es, ihn darauf hinzuweisen, dass er nur zu Gast bei mir war – und das hoffentlich nicht mehr allzu lange.
„Du hast diese fünfzig Quadratmeter perfekt genützt“, fügte er gönnerhaft hinzu.
„Ich habe die Möbel meiner Vormieterin übernommen. Früher hat hier die berühmte Architektin Margarete Schütte-Lihotzky gewohnt“, sagte ich. „Ihre ‚Frankfurter Küche‘ war die Mutter aller Einbauküchen.“
„Wau! Die da drinnen?“ Er deutete auf meine kleine Küche.
„Ja. Sie hat diese Einbauküche schon 1927 für eine riesige Siedlung namens ‚Das Neue Frankfurt‘ entworfen. Von dieser ‚Frankfurter Küche‘ wurden rund zehntausend gebaut, kannst du dir das vorstellen?“
Er wirkte beeindruckt.
„Schütte-Lihotzky war Kommunistin und überzeugt, dass Design und Architektur vor allem funktional sein müssen. Als Modell für ihr ‚Labor einer Hausfrau‘ dienten ihr die Speisewagenküchen der Eisenbahn“, fuhr ich fort, diesen kleinen Angeber zu belehren. Doch er schien das Interesse an meiner Küche verloren zu haben und betätigte sich nun als Gärtner. Entfernte das Unkraut aus den Pflanzentöpfen und schnitt die Äste meiner Birke und meines kleinen Apfelbaums.
Ich bin eine urbane Frau, trotzdem besitze ich einen gewissen Hang zur Natur. Vielleicht, weil ich als Kind viel Zeit bei meinem Großvater in seinem Häuschen in Mistelbach verbracht hatte? Dr. Mader würde meine Vorliebe für Grünzeug bestimmt so deuten. Ich hatte heute meinen ersten Termin bei ihm.
Da ich bisher nie im Wohnbereich des Schlossquadrats gewesen war, verstand ich erst, als ich vor der Eingangstür stand, warum sich manche Leute zweimal umblickten, bevor sie das Haus betraten. Neben der Tür hingen mehrere Schilder von Psychiatern und Psychotherapeuten.
Ich fand die Vorstellung, mich jede Woche auf eine Couch legen und mir den ganzen Mist von der Seele reden zu können, gar nicht so übel. In der New Yorker Upper Class gehörte der eigene Analytiker praktisch zum Inventar. Woody Allen lag bestimmt schon seit vierzig Jahren auf der Couch und seine Filme wurden immer besser. In der Stadt Sigmund Freuds genierten sich jedoch viele Patienten nach wie vor dafür, in psychoanalytischer Behandlung zu
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