Schön tot: Ein Wien-Krimi (German Edition)
nicht allzu weit von der Wiener Freiheit entfernt war, kam mir der Weg endlos lange vor. Ich war todmüde und hatte eigentlich keine Lust, weiter nach Orlando zu suchen.
Als ich mir eine Zigarette anzünden wollte, fiel mir das Feuerzeug aus der Hand. Ich bückte mich rasch. Auf einmal spürte ich einen stechenden Schmerz im Rücken. Fast auf allen Vieren kroch ich zum nächsten Hauseingang. Sank auf die Stufen nieder.
Mit schmerzverzerrtem Gesicht tastete ich meinen Rücken ab. Es steckte weder ein Messer zwischen meinen Schulterblättern, noch hatte mir jemand von hinten eine Kugel verpasst. Womöglich hatte ich schlicht und einfach einen Hexenschuss?
Ich zündete mir eine an, nahm einen tiefen Zug. Der Geschmack des verbrennenden Tabaks beruhigte mich. Der Schmerz ließ nach, schien im Rauch meiner Zigarette aufzugehen. Ich schloss die Augen und genoss den betörenden Duft. Dann schleppte ich mich mit gekrümmtem Rücken weiter ins Motto.
Das Lokal war auch zu dieser späten Stunde ziemlich voll. Dennoch entdeckte ich Orlando sogleich. Er saß allein an einem Tisch und heulte bitterlich. Das lange dunkle Haar hing ihm ins Gesicht. Seine Wimperntusche hatte hässliche schwarze Spuren auf seinen gepuderten Wangen hinterlassen. Er sah einfach erbärmlich aus.
Fast vergaß ich meine Schmerzen. Ich setzte mich zu ihm, streichelte seine Hand und fragte, was los sei.
„Er ist so gemein“, kreischte Orlando und deutete auf den DJ, der gerade eine Pause einlegte und an der Theke einen Kaffee trank.
„Was hat er dir getan?“
„Er hat die ganze Zeit mit dem Bernd geflirtet. Er will ihn mir ausspannen“, schluchzte Orlando. „Dabei hat Bernd heute endlich einmal ernsthaft mit mir geredet. Wir haben uns wirklich gut unterhalten. Er hat sich sogar meine Wunde angesehen. Aber diese verdammte Kröte hat das nicht ausgehalten, musste sich sofort einmischen. Hat so ganz auf cool gemacht. Ich hasse ihn!“
Wenn’s weiter nichts ist, dachte ich, und überlegte, ob ich mir den Klassiker des Motto, einen gebackenen Emmentaler, oder lieber Schinkenfleckerl bestellen sollte. Die Nacht würde, wie es aussah, noch lang werden.
„Ich hab einen Gusto auf Schinkenfleckerl“, sagte ich zu Orlando und empfahl ihm, Erdbeer-Nougat-Knödel zu nehmen: „Bei Liebeskummer hilft nur Süßes!“
„Wie kannst du ans Essen denken, wo ich gerade die größte Krise meines Lebens durchmache?“, fragte er mich empört.
„Wenn ich hungrig bin, werde ich grantig. Und dann kann ich dir erst recht nicht helfen“, sagte ich. „Außerdem habe ich einen Hexenschuss. Ich kann mich kaum bewegen.“
Widerwillig erhob er sich und wankte zur Theke, um meine Bestellung weiterzugeben.
Sein hautenges Kleid war nicht mehr ganz sauber. Seine Frisur ebenfalls nicht mehr intakt. Es fehlten einige der falschen Diamantensternchen. Ich würde ihm diesen Sisi-Look ausreden müssen. Er machte sich komplett lächerlich. Im Fasching mochte so eine Kostümierung wohl angehen. Aber er konnte doch nicht das ganze Jahr über in diesem seltsamen Aufzug herumrennen.
Ich beobachtete, wie Bernd sich offensichtlich bemühte, Contenance zu bewahren, als Orlando ihm vor allen Gästen lautstark eine Szene machte. Bevor es zu einem Eklat kommen würde, mischte ich mich ein. Ich packte Orlando am Arm, verdrehte die Augen zur Decke und zischte leise: „Du lieber Gott, wenn du schon nicht anders kannst, dann mach es wenigstens diskret.“
Wütend zerrte ich ihn zurück an unseren Tisch. „Du isst jetzt was“, sagte ich energisch. „Du bist total besoffen.“
„Ich bin sowieso viel zu fett. Wahrscheinlich mag er mich deswegen nicht“, schluchzte Orlando.
Meiner Meinung nach war er eher untergewichtig.
„Koste wenigstens meine Schinkenfleckerl. Sie zergehen auf der Zunge und der Käse ist schön knusprig“, versuchte ich ihn zu verführen.
Trotzig schüttelte er den Kopf.
Da ich wusste, dass er Süßem nicht widerstehen konnte, winkte ich dem Kellner und bestellte Erdbeer-Nougat-Knödel für meinen unglücklichen Freund.
Plötzlich riss Orlando sein Kleid vorne auf. Ein halbes Dutzend kleiner Perlmuttknöpfchen sprang in alle Richtungen. Theatralisch legte er die linke Hand auf seinen nicht vorhandenen Busen und schrie: „Ich halte diesen Schmerz nicht länger aus. Ich gehe. Und zwar für immer!“
Meine Versuche, ihn zu beruhigen, scheiterten. Ich ging auf die Toilette.
Diese verspiegelten Toiletten im Motto waren wirklich die Pest. Vor allem für
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